Hard In Here – mit Bell Witch, Predatory Void und John Cxnnor
Ende April fand im niederländischen Tilburg wieder das Roadburn statt – Europas größtes Festival für heavy Underground-Musik. Das geht für gewöhnlich mit einigen besonderen Performances und Releases einher, die natürlich hier ihren Platz finden sollen.
Bell Witch – Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate
Am Release-Tag auf dem Roadburn erstmals live gespielt und sogar erst drei Tage vor der Festival-Premiere angekündigt, wurde das neue Bell-Witch-Release. „The Clandestine Gate“ ist streng genommen eine Single, weil ein Song, aber noch strenger genommen ein Album, weil fast anderthalb Stunden lang. Nicht nur das: Das Doom-Epos drönt auf die Sekunde genau so lange aus den Boxen wie der gehypte 2017er Vorgänger „Mirror Reaper“. Ob dieses Gimmick es jetzt rechtfertigt, uns mit einem fast neunminütigen Intro in den Halbschlaf zu wiegen, weiß ich nicht, aber wenn’s dann endlich mal losgeht, bekommen wir Bell Witch in Reinform: Wir sind laut, wir sind langsam, wir sind melancholisch.
Bell Witch betreiben einen äußerst effektiven Minimalismus: Jedes Riff, jede Synthfläche, jeder Drumbeat und jedes Wort bekommt hier endlos viel Raum eingeräumt, um voll und ganz zu wirken. Diese Langatmigkeit kann ermüdend sein, mit der ausreichenden Ausdauer und Aufmerksamkeitsspanne offenbart sich „The Clandestine Gate“ jedoch als großartige Komposition, die übrigens nur der erste Teil einer auf Zyklen basierenden Trilogie darstellt.
Predatory Void – Seven Keys To The Discomfort Of Being
Eine neue Band aus dem Church-Of-Ra-Umfeld? Sign me up! Predatory Void ist das jüngste Projekt von Amenra-Gitarrist Lennart Bossu, dessen erstes Album ebenfalls am Release-Tag auf dem Roadburn präsentiert wurde. „Seven Keys To The Discomfort Of Being“ ist als Debüt auf jeden Fall eine Ansage: Von der Produktion bis hin zum dynamischen Songwriting hört man dem Album in jeder Sekunde an, dass hier erfahrene Musiker:innen am Werk sind – an dieser Stelle Shoutout an Sängerin Lina, die mit ihrer abwechslungsreichen Performance alles abreißt.
Lennart Bossu beschreibt Predatory Void als fieses, aggressives Geschwisterchen seiner seit Jahren pausierenden Band Oathbreaker, und das trifft den Nagel ganz gut auf den Kopf. Mit ihrer mal atmosphärischen, meist jedoch brutal harten Mischung aus Sludge, Doom und Extreme Metal haben die Belgier:innen auf jeden Fall das Potential, zu einem Favoriten in der breiteren modernen Metal-Szene zu werden.
John Cxnnor & The Devil’s Trade – Live At Roadburn 2022
Live-Alben lassen mich für gewöhnlich kalt, weil sie meist schlechter klingende Versionen von Studio-Alben sind, aber hier mache ich gerne eine Ausnahme. Das liegt einerseits daran, dass die Live-Aufnahme vom Roadburn-Kollab-Set des ungarischen Dark-Folk-Musikers The Devil’s Trade und dem dänischen Electro-Industrial-Duo John Cxnnor tatsächlich sehr gut und massiv klingt, aber auch daran, dass die Songs nur in dieser Inkarnation existieren.
Speziell für das Roadburn 2022 kreiert, besteht das Set aus neu interpretierten Songs der einzelnen Künstler sowie neuem Original-Material. Der düster-dramatische Gesang von The Devil’s Trade dominiert gespenstische Ambient-Soundscapes, harsche Industrial-Beats machen dann alles dem Erdboden gleich. Wer sich bei John Cxnnor denkt „Klingt irgendwie vertraut“, hat übrigens recht: Das Geschwister-Duo, das auch hinter der hervorragenden Post-Metal-Band LLNN steckt, hat sich nach einem Charakter aus der „Terminator“-Reihe benannt, die neben weiteren Sci-fi-Filmen als Inspiration für dieses konzeptionelle Projekt dient.
Spotlights – Alchemy For The Dead
Aber natürlich dreht sich die Welt außerhalb vom Roadburn ebenfalls weiter: Auch das New Yorker Trio Spotlights ist mit einem neuen Album aus der Dämmerung getreten. Wie kaum eine andere Band beherrschen die Drei das feine Spiel mit Licht und Schatten, Schönheit und Krach. „Alchemy For The Dead“, ein Konzeptalbum zum Thema Tod und unserem Umgang damit, profitiert mehr als jedes andere ihrer Releases von diesem Ringen verschiedener Kräfte und wirkt wie eine gespenstische Übertragung aus dem Jenseits. Fuzz und Feedback werden durchschnitten von eingängigen Hooks und Melodien, für die Tausende andere Bands töten würden. Nennt es Post-Rock, nennt es Doomgaze oder wie ihr wollt: Kaum jemand macht das gerade so gut wie Spotlights.
Hier gehts zur Hard in Here Playlist:
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.