Hard In Here – mit Trespasser, Code Orange und Stormo
Code Orange – What Is Really Underneath?
What? Wie? Neues Code-Orange-Album? Einfach so, aus dem Nichts? Naja, nicht ganz. „What Is Really Underneath?“ ist Begleitwerk und Erweiterung zum 2020 erschienenen Album „Underneath“ und besteht teils aus Remixes, teils aus neuem Originalmaterial. „We didn’t want to do a remix record in the sense of anyone else remixing our stuff – even though there’s a lot of amazing people out there. We wanted it to be a soundtrack to the record. Listening to this can kind of inform that world and the character ideas we were putting down in our art“, erklärt Bandleader Jami Morgan im Interview mit „Kerrang!“.
Ein Soundtrack zu einem Album, also? Muss man auch erstmal bringen. Passt aber zum gesamtheitlich-konzeptionellen Approach der Band, ebenso wie der parallel veröffentlichte Kurzfilm. Wenig überraschend bewegen sich Code Orange hier immer weiter in Richtung „Matrix“ und Nine Inch Nails; von ihrer Hardcore-Sozialisation ist zwischen Industrial, Techno und Synthwave nur noch wenig zu hören. Ich kann damit durchaus gut leben, weil sich dabei in meinem Kopf automatisch derartige Szenen abspielen:
So richtig spannend ist das alles aber auch, weil es sich hier um das erste Signing und Release von Blue Grape Music handelt. Roadrunner-Gründer Cees Wessels und der ehemalige A&R-Chef David Rath haben das Label 2022 gestartet, und wenn man Code Orange als Vorzeichen verstehen darf, werden sie ihrem ehemaligen Label (das durch einige Besitzer- und Managementwechsel gebeutelt ist), wohl so einige Acts und Mitarbeitende streitig machen. Boss move, auf jeden Fall.
Trespasser – ἈΠΟΚΆΛΥΨΙΣ
Wer aufmerksam mitgelesen hat, konnte den Namen Trespasser bereits im Hard-In-Here-Special zu RABM finden. Vier Jahre nach ihrem Debütalbum „Чому не вийшло?“ hat die schwedische Band nun endlich einen Nachfolger veröffentlicht. Ich sag es ja immer wieder: Die rebellische Natur des Black Metal ist wie gemacht für den Klassenkampf – auch wenn uns rechte Stiefellecker:innen gerne das Gegenteil weismachen wollen. „ἈΠΟΚΆΛΥΨΙΣ“ („Apokálypsis“) ist der beste Beweis dafür: Jede Sekunde klingt nach Umbruch; statt Nihilismus strotzt das Album vor einer Art von Energie, die man nur aufbringen kann, wenn man wirklich für etwas steht.
„A thousand voices tell us everyday that our struggle for another world is futile, this album is the counterattack; a voice of trust and belief that we’re on the right path and that every step, no matter how small, is never in vain“, erklärt das Duo. Basierend auf einer anarchistischen Auslegung der Johannes-Offenbarung und verpackt in christliche Ästhetik knallen uns Trespasser sieben rasende Melodic-Black-Metal-Hymnen entgegen, die das Fundament unserer kapitalistischen Gesellschaft zum Bröckeln bringen.
Stormo – Endocannibalismo
Deutlich düsterer geht es bei den Italienern Stormo zu, die sich auf ihrem vierten Album „Endocannibalismo“ dem Themenkomplex Tod nähern – auf individueller wie universeller Ebene. Endokannibalismus bezeichnet den rituellen Verzehr von Überresten verstorbener Stammesangehöriger als Teil des Trauerprozesses. So verstörend das auf uns in der westlichen Welt wirken mag, so verstörend klingt auch dieses Album.
„Endocannibalismo“ ist ein Paradebeispiel für Post-Hardcore in der Tradition von Screamo-Bands wie La Quiete und Raein – reduziert, rau, kaustisch und chaotisch. Es ist ein Album, das sich mit seinen knapp 30 Minuten Spielzeit perfekt für den einen oder anderen kleinen Nervenzusammenbruch zwischendurch eignet. Das kann man ja heutzutage durchaus gut gebrauchen.
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.