Hard In Here – mit Zulu, BIG|BRAVE und Full Of Hell / Primitive Man
Zulu – A New Tomorrow
Wir schreiben das Jahr 2023 und glücklicherweise wird es für Veranstalter:innen und Booker:innen immer schwieriger, Line-Ups aus weißen cishet Dudes zu buchen (denn gibt ja angeblich kaum „gute“ Bands mit Frauen, PoC und Mitgliedern der LGBTQIA+-Community), weil sich Acts wie Soul Glo, Bob Vylan oder Zulu einfach so kompromisslos und unausweichlich ihren verdienten Platz in der Hardcore-Szene nehmen. Letztere haben mit „A New Tomorrow“ nun endlich ihr heiß erwartetes Debütalbum veröffentlicht, das uns Metallic Hardcore und Powerviolence aus der Diaspora-Perspektive um die Ohren knallt.
Mit seinen Jazz-, Funk-, Soul- und Reggae-Samples, Hip-Hop-Einflüssen und Spoken-Word-Parts wirkt „A New Tomorrow“ mehr wie ein Mixtape als ein traditionelles, kohärentes Album. Dennoch ergibt es als Ganzes Sinn, denn dieses Album hat eine Message, einen klaren Standpunkt. „Discourse around Blackness in America often orbits around Black pain […] but I grow weary of repeating our plight while never highlighting the beauty of us. So often forgotten in conversation is our perseverance and triumph“, verdeutlichen Zulu im Track „Crème de Cassis“.
Ja, das ist Hardcore – aggressiv und wütend und manchmal alles vernichtend. Aber viel wichtiger: Es ist eine Feier der Gemeinschaft, der Liebe, Stärke und Hoffnung. Lasst uns mitfeiern.
BIG|BRAVE – nature morte
Als 2021 „Vital“ erschien, dachte ich ja, dass der BIG|BRAVE-Zug für mich langsam abgefahren wäre. Das wäre in Ordnung gewesen; das Trio hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei hervorragende Alben veröffentlicht und ewig kann man so ein Niveau einfach nicht beibehalten. Doch die Kanadier:innen haben mich mit „nature morte“ eines Besseren belehrt.
Klar von der The-Body-Collab „Leaving None But Small Birds“ beeinflusst, tauchen BIG|BRAVE hier immer mal wieder ihren großen Zeh in Folk-Gewässer (man höre nur „the fable of subjugation“). Was „nature morte“ zu einem ihrer stärksten Alben macht, ist aber dieser Drahtseilakt zwischen Minimalismus und Zügellosigkeit, den so nur das Trio hinbekommt. Jeder Ausbruch ist eine Drone- und Distortion-gewordene Katharsis, jeder Ton von Sängerin Robin Watties Lippen ein Lichtstrahl, der das Dunkel (manchmal brutal) durchschneidet.
Full Of Hell / Primitive Man – Suffocating Hallucination
So schnell wie Full Of Hell und Primitive Man immer wieder neues Material veröffentlichen, komme ich fast gar nicht mit dem Kolumne schreiben hinterher. Ich musste es selbst nochmal überprüfen, aber „Suffocating Hallucination“ ist tatsächlich das erste gemeinsame Release der Brüder im Geiste. Uns erwarten hier (im besten Sinne) keine Überraschungen: Doom, Noise und Death Metal verschmelzen zu einem wundervoll-verstörenden Amalgam, das sich wie Melasse über alles Gute und Schöne auf der Welt legt. Absolutes Highlight ist das Finale „Tunnels To God“, das sich über zehn Minuten sphärisch von Ambient zur Apokalypse aufbaut.
Sorceress – Beneath The Mountain
Wir enden mit einem kleinen Deep Cut: Bevor Mizmor und Hell existierten, gab es Sorceress. Die Vorgängerband der beiden Solo-Doom-Projekte veröffentlichte 2009 lediglich ein Album, das heute so rar wie unbekannt ist. 14 Jahre später gibt es das gute Stück nun als remastertes Rerelase und erstmals auch auf Vinyl. Mir persönlich ist das etwas zu generischer Psychedelic Stoner Rock, als historisches Dokument aus der Entstehungsgeschichte von Hell und (vor allem) Mizmor jedoch durchaus interessant.
Christina Wenig ist Redakteurin, Journalistin und Fotografin aus Berlin. Für Magazine wie Visions und Metal Hammer schreibt sie über Metal, Hardcore und Artverwandtes; auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie Live-Eindrücke aus verschwitzten Clubs und sinniert über Feminismus, Antifaschismus, Filme und ihren Hund.