Longread: Helfen oder schaden Songs über das Thema Suizid?
Triggerwarnung: In diesem Text geht es unter anderem um Suizid. Lies diesen Text also nur, wenn du dich dazu in der Lage fühlst. Wenn du darüber nachdenkst, dir das Leben zu nehmen, unter Depressionen leidest oder mit jemandem reden möchtest, steht dir die Telefon-Seelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 1110222 rund um die Uhr oder das Kinder- und Jugendtelefon unter 0800 11 6 111 von Mo. bis Sa. von 14 bis 20 Uhr zur Verfügung. Hier erhältst du Hilfe!
Einer der ergreifendsten, deutschsprachigen Popsongs des letzten Jahres beginnt mit den Zeilen: „Beide Hände auf der Herdplatte / Nur eine falsche Bewegung und ich lande im Gegenverkehr / Ich sag ja nicht, dass ich es vorhabe / Doch es gibt Phasen, in denen ich mich immer wieder frag, wie es wär.“ Der Song heißt „99 Probleme“, und geschrieben wurde er von Madeline Juno. In dem Interviewformat „Wortspiel“ spricht sie sehr ausführlich über die Entstehung des Songs und erklärt: „Ich habe schon viele Songs über Mental Health geschrieben. Schon sehr, sehr viele Songs. Immer mit so einem leichten Touch von Humor. Um es mir selbst ein bisschen einfacher zu machen, darüber zu sprechen. Aber bis zu diesem Lied habe ich noch nie ausgesprochen, jemals suizidale Gedanken zu haben oder gehabt zu haben.“
Nachvollziehbar machen, wie gefährlich es ist, so zu denken
Die Wucht dieser Songzeilen ist schwer zu beschreiben. Vor allem, weil wir hier nicht in einem Emo-Song sind, wo Suizid manchmal regelrecht verklärt wird. Nein, „99 Probleme“ ist rein musikalisch feinster Radiopop. Extrem zugänglich, mit warmer Stimme gesungen. Madeline Juno sagt im „Wortspiel“ dazu: „Es sind ja wirklich nur Bildfetzen, die man hat, wenn man sich das vorstellt, wie es ist, diese Gedanken zu haben. Trotzdem fand ich es einfach spannend, den Song mit ‚beide Hände auf der Herdplatte‘ zu beginnen. Bei diesen Worten ahnt man, wie unfassbar das weh tun und wie es einen aufrütteln würde.“ Madeline Juno sagt, sie habe mit „99 Probleme“ alles dafür getan, „irgendwie nachvollziehbar zu machen, wie gefährlich es ist, so zu denken. Wie tief man eigentlich fühlt. Wie tief man fallen kann, wenn man diesen Gedanken zu viel Raum gibt“. Obwohl das Thema „Mental Health“ in den letzten Jahren vermehrt Raum bekommt und viele Künstler:innen Depressionen oder Burn-Out-Symptome offen ansprechen, geht Madeline Juno mit diesem Song und mit diesen Statements noch ein paar Schritte weiter. Und sie spricht damit vielen Menschen aus dem Herzen. Wer sich durch die Kommentare unter dem Lyric-Video klickt, findet vor allem Zuspruch. Ein User schreibt: „Es gab noch nie ein deutsches Lied, das mich so unglaublich berührt hat. Als jemand, der über fünf Jahre mit heftigen Depressionen gekämpft hat, fühle ich jedes Wort so unglaublich sehr und sitze hier grade am heulen obwohl, ich nen Teil des Songs durch TikTok schon kannte.“
„Keep me inside / My name is suicide“
Ein weiteres Beispiel, wie offensiv man das Thema Selbsttötung in einem Song verarbeiten kann, findet sich auf dem neuen Metallica-Album „72 Seasons“. Der Track „Screaming Suicide“ war ehrlicherweise der erste Impuls, sich dem Thema in einem Longread zu widmen. James Hetfield singt darin im Chorus: „Don’t ever speak my name / Remember you’re to blame / Keep me inside / Keep me inside / My name is suicide.“ Musikalisch fanden einige Kritiker:innen in diesem Song Spuren ihres Sounds zu „Kill’em All“-Zeiten, wenn auch ein wenig polierter. Aber inhaltlich ist „Screaming Suicide“ besonders – vor allem im Kontext von James Hetfield Biografie. Während er lange Zeit sehr bedacht darauf war, sein Privatleben abzuschirmen, fand Hetfields Kampf gegen die Alkoholsucht und gegen Phasen der Depressionen in den letzten Jahren quasi in der Öffentlichkeit stand. „Schuld“ daran ist die noch immer erstaunliche Dokumentation „Some Kind Of Monster“ von Joe Berlinger und Bruce Sinofsky, die Metallica in der Zeit von 2001 und 2003 begleiteten – eine, vorsichtig formuliert, schwierige Zeit für die Band. Trotzdem lief die Kamera selbst bei einer schonungslosen Bandtherapie und bei Hetfields Entscheidung für einige Monate in eine Entzugsklinik zu gehen. In einem Interview sagte er damals: „Ich scherte mich nicht um Metallica, mir war es völlig egal, was die anderen oder irgendjemand darüber dachte. Auf eine sehr egoistische Weise musste ich mich ganz allein um mich und meine Gesundheit kümmern. Und das hatte ich niemals zuvor getan.“ „Some Kind Of Monster“ gilt heute für viele, die sich mit dem Thema „Mental Health in der Musikbranche“ befassen, als Meilenstein – weil hier niemand geringeres als die größte Rockband der Welt vor laufenden Kameras eingesteht, professionelle Hilfe brauchen.
„Meine Absicht war es, über die Dunkelheit, die wir alle manchmal in uns spüren, zu sprechen.“
Man hört also genau hin, wenn James Hetfield ganz bewusst und mit der nötigen Provokation im Songtitel ein Thema aufgrifft, das für viele ein Tabu darstellt. Dabei sind die Strophen – bei aller Aggression im Chorus – geradezu aufmunternd. So zeichnet Hetfield zunächst mit groben Strichen eine schwarze, vermutliche depressive Phase: „Curse another day / Spirit locked away / Punish and deprive / Hate to be awake / Living a mistake / More dead than alive“. Aber dann dreht er die Szene in einem kritischen Moment: „Then a voice appears / Whisper in your ears / ‚You are good enough‘ / Throwing down a rope / A lifeline of hope / Never give you up.“ In einem Statement zum Song erklärt Hetfield, was er damit erreichen möchte. Er wolle das Wort „Suizid“ enttabuisieren, weil es jeden von uns betreffen könne. „Meine Absicht war es, über die Dunkelheit, die wir alle manchmal in uns spüren, zu sprechen. Diese Gedanken zu leugnen ist lächerlich. Ich glaube, dass die meisten Menschen an dem ein oder anderen Punkt schon einmal darüber nachgedacht haben.“ „Screaming Suicide“ ist also keine Verherrlichung von Suiziden oder eine Gleichsetzung mit irgendeiner Form von Rebellion, wie man es bei dem Songtitel vielleicht auch vermuten könnte.

„Grundsätzlich glaube ich, man engagiert sich eher für Themen, die einem entweder nah sind oder mit denen man persönlich etwas zu tun hat.“
Aber sollte man nun also ein so komplexes Thema in Songform verarbeiten? Um einer Antwort auf diese Frage näherzukommen, haben wir mit einer Expertin gesprochen, die seit Jahren junge Menschen über die Themen seelische Gesundheit, Depression und Suizid aufklärt. Diana Doko (Foto von Benno Kraehahn) arbeitet außerdem seit Jahren in der Musik- und Medienbranche. 2001 gründete sie mit Gerald Schömbs von der PR-Agentur Schröder+Schömbs den Verein „Freunde fürs Leben e. V.“. Ausschlaggebend für sie war ein Todesfall im engsten Familienkreis. „Grundsätzlich glaube ich, man engagiert sich eher für Themen, die einem entweder nah sind oder mit denen man persönlich etwas zu tun hat. Ich habe keine Depressionen, aber mein Bruder hat sich das Leben genommen.“ In der Trauerphase habe Diana dann vor allem mit ihren Eltern und mit den Freund:innen ihres Bruders über den Tod gesprochen. „Die waren damals immer für mich da – die hatten aber alle auch Migrationshintergrund muss man sagen. Ich glaube, sie gingen grundsätzlich mit dem Tod oder dem Suizid eines geliebten Menschen anders um. Wir haben viel gelacht und viel geweint – und das hat mir sehr geholfen.“ Nach und nach merkte sie: bei den Kolleg:innen und Freund:innen aus der Medien- und Musikbranche war das anders. „Ich will da niemandem einen Vorwurf machen. Ich glaube es war eher Ratlosigkeit oder Angst, ich würde in Tränen ausbrechen oder so. Aber es hat mich kaum jemand darauf angesprochen. Manche haben sogar die Straßenseite gewechselt und gleich danach meinen Freund angerufen, um zu fragen, wie es mir geht, anstatt mir selbst entgegenzutreten…“
„In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und AIDS zusammen.“
Zwei Jahre nach dem Tod ihres Bruders sprach sie dann mit Gerald Schömbs, der ebenfalls einen Suizid im engsten Kreis zu beklagen hatte. Im Gespräch über ihre Trauer und den Umgang anderer Menschen mit ihnen kamen sie zu den gleichen Schlüssen: Über einen Suizid zu sprechen, ist für viele Menschen noch immer ein Tabu. Und: Suizide sind ein sehr drängendes Thema – gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Ich habe damals bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angerufen, die wirklich zu jeder Krankheit eine Broschüre haben. Aber zu Depressionen oder Suizid? Nix! Und dann kamen ja noch die Zahlen dazu: In Deutschland sterben – und das hat sich bis heute nicht geändert – mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und AIDS zusammen.“ Zur gleichen Zeit sei ihr dann in der Berliner U-Bahn ein Plakat aufgefallen: „Da war so ein roter Esoterik-Kreis drauf und darunter stand so was wie: ‚Wenn du suizidgefährdet bist, dann melde dich bei uns.‘ Und ich dachte nur: Welcher Jugendliche wird denn davon angesprochen?“ Also gründeten die beiden den Verein „Freunde fürs Leben e. V.“, um Aufklärung zu betreiben – und diese mit der politischen Forderung zu verbinden, dass auch der Staat hier aktiver wird. Dafür nutzten die beiden ihr PR-Know-How und ihre Kontakte in die Musik- und Kulturszene. Auf ihrer Website kann man nicht nur kostenloses Informationsmaterial bestellen, es gibt auch zahlreiche Videointerviews auf dem YouTube-Kanal des Vereins (mit Leuten wie Klaas Heufer-Umlauf, LUNA, Mia Morgan u. v. a.) über Themen der mentalen Gesundheit und den regelmäßigen „Bar-Talk“ mit Markus Kavka, bei dem zum Beispiel Nora Tschirner, Stefanie Giesinger oder Megaloh zu Gast waren. Außerdem gibt es den Podcast „Kopfsalat“, bei dem die Moderator:innen Victoria Müller und Frank Joung jeweils mit einer betroffenen Person und einem oder einer Expert:in über einen Aspekt der mentalen Gesundheit sprechen. Auch Suizidgedanken kommen dabei zur Sprache.
Aber was sagt Diana Doko nun zu „Screaming Suicide“ von Metallica, den sie natürlich auch mitbekommen hat. „Je öfter ich den Song höre, desto mehr denke ich: Genau richtig! James Hetfield schreit ‚Suicide‘ und es berichten Medien darüber, die sonst nicht über Suizid berichten. Ein weiterer Schritt, um das Thema aus der Tabu-Ecke zu holen. Es ist echt unglaublich, wie viele Medien über den Metallica-Song schreiben. Wieviel Aufmerksamkeit das Thema bekommt. Ich hoffe, dass das nicht nur ein Hype ist, sondern nachhaltig wirkt und etwas verändert.“
Papageno vs. Werther
Denn hier ist auch die Krux, wenn es um Texte oder Videos über das Thema Suizid-Gedanken geht. Es hält sich die Angst um den sogenannten „Werther-Effekt“. Der besagt, dass sensationsträchtige Artikel über Suizid zur Nachahmung animieren können. Namensgebend ist die angebliche „Suizidwelle“, die 1774 nach der Veröffentlichung des Goehte-Romans „Die Leiden des jungen Werthers“ eingesetzt haben soll. Dem gegenüber steht der sogenannte „Papageno-Effekt“, dessen Name auf die Hauptfigur aus Mozarts Singspiel „Die Zauberflöte“ zurückgeht: Als Papageno, im Glauben seine Geliebte Papagena sei gestorben, Selbsttötungsabsichten äußert, wird er von drei Knaben davon abgebracht.
Im Jahr 2018 untersuchte eine Studie der Medizinischen Universität Wien den Papageno-Effekt und meldete: „Aufklärung durch andere Menschen mit eigenen suizidalen ‚Erfahrungen‘ kann Suizidgedanken verringern.“ In der Pressemitteilung heißt es weiter: „Die Rolle von Personen mit eigenen Erfahrungen von Suizidalität ist ein wichtiges Thema in der Suizid-Präventionsarbeit. In der nun durchgeführten, bisher größten Studie mit insgesamt 545 TeilnehmerInnen, wird diese Rolle untermauert: Die Studienautoren Benedikt Till und Thomas Niederkrotenthaler von der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin des Zentrums für Public Health an der MedUni Wien konnten in Zusammenarbeit mit Kollegen der Ludwig-Maximilians Universität München sowie der Uni Leuven in Belgien zeigen, dass Experten-Interviews zum Thema Suizidprävention Suizidgedanken verringern können unabhängig davon, ob der Experte/die Expertin eigene Erfahrungen mit Suizidalität im Artikel thematisiert.“
„Unser Verein sagt seit 22 Jahren, dass es ok sein muss, seine Suizidgedanken laut auszusprechen.“
Auch Diana Doko und ihrem Team von „Freunde fürs Leben e. V.“ wurde von Seiten staatlicher Stellen nicht nur Dank vermittelt. „Unser Verein sagt seit 22 Jahren, dass es ok sein muss, seine Suizidgedanken laut auszusprechen, um mit dem Gefühl nicht allein zu sein und um zu gesunden oder heilen oder sich Hilfe zu suchen. Dafür haben wir zwar schon vor 22 Jahren auf die Mütze bekommen mit dem Satz: Wir würden Jugendliche animieren, sich das Leben zu nehmen. Krasser Quatsch.“ Außerdem werde der Verein von staatlicher Aufklärungs-Seite hin und wieder gerügt, weil man die Themen Depression und Suizid eben jugendaffin aufbereitet – also auch ein wenig unkonventionell, knallig oder laut. Aber Diana meint: „Wie soll man denn gesund werden, wenn man sich nicht traut, seine Gedanken auszusprechen oder sich für diese schämt? Suizid ist nicht die Lösung. Indem die Leute ihre Ängste, Sorgen und auch Suizidgedanken äußern, kommen sie im Idealfall aus der Isolation raus und fühlen sich nicht mehr allein. Depressionen oder Panikattacken sind psychische Erkrankungen, die behandelbar sind.“ Eine sensibilisierte und aufgeklärte Gesellschaft helfe zudem, suizidale Gedanken oder Depression im Freundes- und Familienkreis früher zu erkennen.
„I want you to be alive / You don’t gotta die today.“
Wie viele Menschen sich verstanden fühlen, wenn mal ein Künstler oder eine Künstler:in über das Thema singen oder rappen, zeigt der Song „1-800-273-8255“ von Logic feat. Alessia Cara und Khalid. Er wurde im April 2017 veröffentlicht und trägt als Titel die Telefonnummer der US-amerikanischen Suizidhotline National Suicide Prevention Lifeline. Logic erzählt darin in der Ich-Perspektive von einem Menschen, der keinen Ausweg mehr sieht und überlegt, sich das Leben zu nehmen. Der Song ist lyrisch so angelegt, als rufe der Ich-Erzähler bei der Hotline an. Zu Beginn heißt es: „I don’t wanna be alive, I don’t wanna be alive / I just wanna die / And let me tell you why.“ Aus einer depressiven Phase wachsen hier sehr konkrete Suizidgedanken, die der Ich-Erzähler mit der Hotline teilt. Hier hört er die Zeilen: „I want you to be alive, I want you to be alive / You don’t gotta die today, you don’t gotta die.“ Logic erklärte kurz nach Release in einem Interview, warum er dieses Thema künstlerisch aufgreifen wollte: „Fans erzählen mir immer wieder, dass meine Musik ihr Leben gerettet hat. Ich habe mich immer bedankt, aber in meinem Kopf dachte ich nur: What the fuck? Irgendwann wurde mir dann bewusst, wie viel Einfluss meine Stimme als Künstler hat. Ich habe nie versucht Leben zu retten, aber was, wenn ich es wirklich tun würde?“ Hier erklärt Logic ausführlich, worum es ihm in den Lyrics ging:
„Die Message von Logic ist: Man kann sich Hilfe suchen.“
In dem Video geht es um einen homosexuellen Teeanger, der in der Schule und sogar zuhause Homophobie und Mobbing ausgesetzt ist und überlegt, sich das Leben zu nehmen. Wie Song und Video auf einige Menschen wirken – vor allem jene, die ähnliche Phasen durchlebt haben – ahnt man schon nach einen kurzen Blick in die Kommentare unter dem Clip. Da schreibt zum Beispiel eine „Christina T.“: „So sad and feel like ending it all, take a moment and step back at your life and do everything you can to change it first. Don’t say you gonna try to change it, CHANGE IT. I wish i could take this pain away from you and myself but I can’t! But you can help yourself, love yourself and know that there is someone out there that is willing to be there for you, you just have to let them.“
Dass Logic damit vielen Menschen aus der Seele sprach, wurde 2021 sogar wissenschaftlich bestätigt. Dabei landet man wieder bei Benedikt Till und Thomas Niederkrotenthaler von der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin des Zentrums für Public Health an der Medizinischen Universität Wien, die schon weiter oben zitiert wurden. Professor Thomas Niederkrotenthaler sagte zur Studie in einem Interview mit dem Radiosender EgoFM: „Das wirklich Spannende an diesem Song ist, dass es eine klassische Bewältigunggeschichte ist. Das heißt, die Message ist, man kann sich Hilfe suchen, es gibt Hilfe. Und dieser Protagonist in Logics Song, der sucht sich Hilfe und das geht dann für ihn auch positiv aus.“ Wenn eine positive Botschaft über Krisenbewältigung jemanden erreiche, der in einer Krise sei, verringere das die Suizidalität, meint Niederkrotenthaler. Hier greife also eher der Papageno-Effekt als der Werther-Effekt. Er und sein Team haben die Zahl der Anrufe der Lifeline Hotline nach dem Release untersucht. Diese sei um rund sieben Prozent gestiegen in der Zeit, in der der Song so viel mediale Aufmerksamkeit bekam. In Zahlen bedeute das: Es gab rund 10.000 Anrufe mehr in einem Monat. Niederkrotenthaler erklärt: „Wir haben gefunden, dass es da einen ganz massiven Anstieg gab der Anrufe bei der Kriseninterventions Hotline und gleichzeitig auch einen Rückgang der Suizide.“ Da nicht bestätigt werden könne, dass die Anrufenden das Lied wirklich gehört hätten, lasse sich zwar keine Kausalität feststellen, die Ergebnisse deuteten aber auf einen Zusammenhang hin.
Nicht OB, sondern WIE man über Suizide schreibt und singt ist die Frage
Mit dem Über-Suizide-Singen ist also wie mit dem Über-Suizide-Schreiben. Das „wie“ ist hier entscheidend. Das rät auch die Suizid Prävention Deutschland, die für Journalist:innen einen Leitfaden zusammengestellt hat. Darin heißt es: „Die Kenntnis, dass suizidale Krisen überwunden werden können, kann suizidpräventiv wirken. Diese Berichte können von Betroffenen kommen, aber auch von therapeutischem Fachpersonal, Mitarbeitenden von Beratungsstellen und klinischen Einrichtungen. Gehen Sie dabei besonders sorgfältig mit betroffenen Menschen um und erkunden Sie, was es für diese Menschen bedeutet, mit ihrer Suizidalität in der Öffentlichkeit zu erscheinen.“
Die in diesem Text vorgestellten Beispiele dürften hoffentlich genau diese Wirkung erzielen – und vor allem eines deutlich machen, was auch James Heatfield in seinem Statement zu „Screaming Suicide“ geschrieben hat: „Ich glaube, dass die meisten Menschen an dem ein oder anderen Punkt schon einmal darüber nachgedacht haben.“ Das gilt zum Beispiel auch für den Autor dieser Zeilen. Ist zum Glück lange her, er war 13, und plötzlich zwei Jahre lang Mobbing-Ziel – aber trotzdem. In diesem Sinne: Passt auf euch auf! Und wenn ihr Hilfe braucht …
…steht euch die Telefon-Seelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 1110222 rund um die Uhr oder das Kinder- und Jugendtelefon unter 0800 11 6 111 von Mo. bis Sa. von 14 bis 20 Uhr zur Verfügung. Auf der Website vom Freunde fürs Leben e. V. gibt es einen Hilfsangebot-Finder – den findest ihr hier.