Maryam.fyi über die Revolution im Iran: „Nimm dein Kopftuch ab, lass dein Haar frei …“
Es ist der erste September. 50 Wochen der Proteste, Festnahmen, Hinrichtungen, des Aufbegehrens für die Freiheit in voller Lautstärke liegen hinter uns.
Und immer noch denke ich laut vor mich hin: Wie lange noch?
Zuallererst möchte ich in dieser Episode der Kölner Frauenrechtlerin, Architektin, und deutschen Staatsbürgerin Nahid Taghavi nachträglich zu ihrem Geburtstag gratulieren, den sie bereits zum dritten Mal im Evin-Gefängnis verbrachte. Nahid wurde am 28. August 2023 70 Jahre alt und ihre Tochter Mariam Claren @free.nahid kämpft seither um Aufmerksamkeit und für die Freilassung ihrer unschuldig inhaftierten Mutter.
Wir können ihr zum Geburtstag den Gefallen tun und den Hashtag #freenahid, sowie ihren Namen auf Sozialen Netzwerken oder in der Öffentlichkeit zu teilen und darauf zu hoffen, dass sie nächstes Jahr wieder mit ihrer Tochter und der restlichen Familie zusammen verbringen kann.
“Nimm dein Kopftuch ab, lass dein Haar frei. Hab keine Angst, Liebling, kämpf gegen die Tränen an.”
So heißen die Zeilen aus dem Lied “Roosarito”, “dein Kopftuch”, von dem Sänger Mehdi Yarrahi, das er kürzlich releast hat und woraufhin der 41-jährige verhaftet wurde. Der nächste in der Reihe vieler Unschuldiger, die für bei uns selbstverständliche Dinge ihr Leben in unmittelbare Gefahr bringen. Wir erinnern uns: Der Künstler Toomaj Salehi sitzt seit über 300 Tagen in Haft und befindet sich in schlechtem gesundheitlichem Zustand, er ist Rapper und darf unter dem weiterhin bestehenden islamischen Regime nicht seiner Arbeit nachgehen. Was Mehdi Yarrahi noch bevorsteht, ist unklar. Bisher scheint er noch bei guter Gesundheit zu sein, so heißt es aus letzten Posts auf Social Media zu seiner Person. Jetzt können wir seinen Namen bestenfalls so groß trenden lassen, dass er wieder aus dem Gefängnis entlassen wird, bevor sein Zustand sich verschlechtert.
In den letzten Tagen und Wochen bereitet sich das Regime, so wie die Menschen im Iran, auf den Jahrestag von Jina Mahsa Aminis Tod vor. Am 16. September jährt sich das Datum zum ersten Mal. Der Tag, an dem die Menschen in Saqqez an Jinas Grab vereint protestierten und “Tod dem Diktator!” und “Nieder mit der Islamischen Republik!” riefen. Die Moralpolizei, über die der Mythos verbreitet wurde, sie sei abgesetzt, ist präsent auf den Straßen und geht schärfer als zuvor gegen Verstöße in der Kleiderordnung vor. Das Islamische Regime geht so weit, Kameras und KIs zu nutzen, um die Menschen aufzuspüren, die sich widersetzen und ihnen die Konten zu sperren oder ähnlich drastisch Säulen der persönlichen Freiheit zu beschneiden.
Zeitgleich hat in den letzten Wochen eine Entlassungswelle stattgefunden, in deren Zuge eine Großzahl an UniversitätsprofessorInnen entlassen und zwangspensioniert wurde.
Im gesamten System, an allen Ecken und bei jeder sich bietenden Möglichkeit versucht das Islamische Regime, sich zu halten und den Drang nach Freiheit und Leben der Menschen zu ersticken.
So haben diese Mörder gerade am 31. August dafür gesorgt, dass der 35-jährige Javad Rouhi, inhaftiert nach friedlichem Protest und unbehandelt trotz psychischer Erkrankung, nach sadistischer Folter an einer Medikamentenvergiftung verstorben ist.
Es wird immer unübersichtlicher. Ein einziger Blurr an Gewalt und Mord, durch den man sich durchkämpfen muss um aktuelle Information über die Geschehnisse und über einzelne Menschen im Land zu erfahren. Dass unsere und die anderen europäischen Regierungen nicht viel dafür tun werden, die Menschen im Iran in ihrem Kampf um Freiheit und um grundlegende Menschenrechte zu unterstützen, hat sich in den letzten Monaten klar gezeigt. Aber das heißt nicht, dass wir uns damit abfinden müssen. Wer jetzt noch dabei ist und diese Zeilen noch liest, ist schon Teil von Veränderung.
Wir können jetzt unsere Ressourcen bündeln und zumindest am 16. September, Jina und allen Ermordeten aus dem letzten Jahr zu Ehren, zusammen auf die Straße und auf die Bühnen die uns gegeben sind, treten und erinnern, für ihre Freiheit und Frieden laut sein, mit einem gemeinsamen Ruf:
JIN, JIYAN, AZADI.
ZAN, ZENDEGI, AZADI.
FRAUEN, LEBEN, FREIHEIT.
Informationen über die Demos in eurer Nähe findet ihr hier:
@womanlifefreedomcollective
@susanzare.de
@danielasepehri
Und wenn ihr weitere Fragen oder Inspiration zu Aktionen habt, dann scheut euch nicht und schreibt mal eine DM, vielleicht kriegen wir ja zusammen etwas hin.