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Claire Dederer fragt: Ist mein Lieblingskünstler „Genie oder Monster“ oder beides?

Posted in: Das Buch zur Woche

Triggerwarnung: In dem hier vorgestellten Buch und deshalb auch in dieser Folge geht es um sexuelle und sexualisierte Gewalt sowie Beispiele zu diesen Themen. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.

Claire Dederer widmete sich dem Thema ihres Buches „Genie oder Monster – Von der Schwierigkeit, Künstler und Werk zu trennen“ zum ersten Mal in einem Essay im Jahr 2017. Darin stellte sie sich und ihren Leser:innen die Frage: „Was machen wir mit der Kunst monströser Männer?“ Es war das Jahr, in dem das übergriffige Verhalten von Hollywood-Mogul Harvey Weinstein publik wurde und die #MeToo-Bewegung ihre volle Wucht entfaltete. Im Buch erzählt Dederer, wie sie danach vor allem von junge Menschen immer wieder gefragt wurde, ob man zum Beispiel die Musik von David Bowie noch hören dürfe. Bowie hat einige Kapitel in seiner Biografie, die unter heutigen Gesichtspunkten mindestens problematisch, vielleicht sogar justitiabel waren – zum Beispiel „teilte“ er sich in seinen Berlin-Jahren mit Iggy Pop eine minderjährige Geliebte.

Dederer musste jedoch die Fragenden enttäuschen: Ein simples „Ja“ oder „Nein“ konnte sie ihnen nicht liefern. Sie schreibt auch in diesem Buch, ein guter Autor oder eine gute Autorin solle den Lesenden nicht vorschreiben, was sie mit ihrem eigenen Leben machen will. Dederer interessiere die klare Lösung also weniger, als eine genaue Analyse des Problems. Die Kernfrage für sie sei: „Was geschieht, wenn wir diese Kunstwerke konsumieren?“

Diese Schlüsselzeile ist so etwas wie die Bedienungsanleitung von „Genie oder Monster“. Claire Dederer seziert in diesem Buch ihren eigenen Kampf mit der Problematik problematischer Künstler und deren Kunstwerken. Einfache Antworten findet sie dabei nicht – weder für sich noch für uns als Lesende. Aber ihre klugen (und bei aller Schwere des Themas oft erstaunlich unterhaltsamen) Analysen nehmen die richtigen Fragen ins Visier: Welches System ermöglicht monströses Verhalten? Wie wirkt sich das auf die Rezeption eines Kunstwerks aus? Wie reagiert die Kulturkritik auf diese Kunstwerke? Wer ist das überhaupt, der da diese Kritiken schreibt? Eines vergisst Claire Dederer dabei allerdings nie: das Leid der Opfer.

Wenn man als Musik- und Filmfan allein auf dieses Jahr zurückblickt, spürt man schnell, dass man ein Buch wie dieses lesen sollte. Denn auch das dürfte allen klar sein: Wir alle werden in den nächsten Jahren noch das ein oder andere Mal mit Geschichten über geliebte Künstler (und manchmal vielleicht auch Künstlerinnen) konfrontiert werden, die uns verstören, enttäuschen und schockieren werden. Mit diesem ebenso klugen, wie mitreißenden Buch ist man dem nun ein wenig besser gewappnet.

In unserer aktuellen, ersten Print-Ausgabe von DIFFUS könnt ihr ein komplettes Kapitel des Buches bereits lesen. „Genie oder Monster – Von der Schwierigkeit, Künstler und Werk zu trennen“ von Claire Dederer ist soeben im Piper Verlag in der deutschen Übersetzung von Violeta Topalova erschienen.

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