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All Diese Gewalt im Interview: „Es sollte immer nach einer fiktiven Band klingen“

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Max Rieger hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass er viel mehr als nur Frontmann der Stuttgarter Band Die Nerven ist. Neben seiner Rolle als Sänger stellt er immer wieder auch seine Fähigkeiten als Produzent unter Beweis, arbeitet zum Beispiel für die Leipziger New Wave Post Rock Formation Fabian oder auch für die Stuttgarter Lo-Fi Gruppe Perigon. Dazu präsentiert er unter dem Namen „All Diese Gewalt“ düsteres Material im Drone-Gewand. Nachdem sein letztes Soloalbum vor mehr als zwei Jahren beim Stuttgarter Label Treibender Teppich Records erschienen ist, veröffentlicht All Diese Gewalt am 23. September 2016 bei Staatsakt mit „Welt in Klammern“ eine neue LP. Zwischen Leichtigkeit, Überforderung und einer atemberaubenden Dramaturgie gehört das Album zu den klügsten und beeindruckendsten Veröffentlichungen des Jahres. „Es war ehrlich gesagt eher ein Prozess, der dazu geführt hat, dass ich mit All Diese Gewalt begonnen habe“ erzählt Max Rieger am Telefon über den Anfang seines Soloprojektes. „Seitdem ich die Möglichkeit habe, einen Computer zu benutzen, mache ich auch Musik am Computer. Angefangen habe ich mit ungefähr 15 Jahren. Damals habe ich noch mit Linux und Audacity gearbeitet. Ich habe gemerkt, dass man auch mit einem Headset-Mikrofon mehrspurige Musiktracks aufnehmen kann.“ Über die Jahre hinweg hätten sich seine Aufnahmeversuche dann stetig weiterentwickelt. „Irgendwann habe ich mir dann gesagt: Ich nenne das jetzt All Diese Gewalt und mache daraus sozusagen ein Soloprojekt.“ Eigentlich sehe er All Diese Gewalt aber gar nicht als ein Soloprojekt, so Rieger. „Es war zum Beispiel nie der Anspruch, dass mein neues Album nach einer Soloplatte klingt, es sollte immer nach einer fiktiven Band klingen.

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Für ihn sei es ein sehr wichtiger Entwicklungsschritt, nun bei einem renommierten Indie-Label wie Staatsakt ein Album veröffentlichen zu können, beschreibt Rieger. Über einen Bekannten und frühen Anhänger seiner Musik sei der Kontakt zur in Berlin ansässigen Plattenfirma zustande gekommen. „Nachdem Staatsakt das Album gehört hatte, kam von denen sofort zurück, dass sie es auf jeden Fall veröffentlichen wollen. Dann habe ich totale Panik bekommen, weil ich dachte: ‚Oh Gott, jetzt kommt es ja wirklich auf einem richtigen Label raus.‘ Ich konnte die Platte dann nur zurückziehen und mich nochmal ein Jahr lang damit befassen. Ich habe sie ausgearbeitet oder fertig gemacht, wenn man das überhaupt so sagen kann.
Ich kann mir während des Musikmachens ehrlich gesagt nicht ausmalen, dass sich das Ergebnis später jemand anhört, der nicht ich selbst bin.
Generell sei es für ihn eine sehr schwierige Vorstellung, dass seine Musik zu einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht werden könnte, sagt Rieger. „Mit Hilfe des Vorlaufs habe ich es ganz gut geschafft, das Ganze zu verarbeiten und zu reflektieren. Letztendlich ist das Album ja auch schon ein Jahr lang fertig. In dem Zustand, in dem ich eine Platte aufnehme, ist eine Veröffentlichung trotzdem eine sehr abstrakte Vorstellung. Ich kann mir während des Musikmachens ehrlich gesagt nicht ausmalen, dass sich das Ergebnis später jemand anhört, der nicht ich selbst bin. Es ist manchmal schwierig für mich, dass viele andere Leute meine Musik hören können, obwohl ich sie eigentlich nur für mich gemacht habe.
Foto von Patrick Herzog
Auch wenn in den Aussagen von Max Rieger einige Zweifel durchscheinen mögen, hat er in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass er einer der umtriebigsten Musikschaffenden in Deutschland ist. Noch vor dem Erfolg von Die Nerven gründeten er und seine Freunde in Stuttgart nur für einige wenige Auftritte Bands, diverse Nebenprojekte und Produzententätigkeiten bildeten die Grundlage für das, was Rieger heute macht. Auf die Frage, ob mittlerweile – bedingt durch den Erfolg von Die Nerven – überhaupt noch Zeit für Nebenprojekte bleibe, antwortet Rieger: „All diese Gewalt war auch schon immer ein Projekt, was so nebenherlief. Es stand nie wirklich still, weil ich mir immer Gedanken dazu gemacht habe. Es hat aber nie richtig ins Tagesgeschehen eingegriffen. Jetzt ist es durchaus so, dass wir mit Die Nerven extrem eingespannt sind, aber ich will nicht, dass mich das davon abhält, andere Dinge zu machen – wie zum Beispiel jetzt diese Platte rauszubringen oder auch weiterhin Bands zu produzieren. Ich versuche das alles unter einen Hut zu bekommen, sodass mir nicht langweilig wird.“ Im Hinblick auf seine verschiedenen Tätigkeiten erklärt Rieger, dass die Arbeitsprozesse unterschiedlicher nicht sein könnten. „Jede Platte ist anders und bedarf auch eines anderen Ansatzes. Mit Die Nerven spielen wir zusammen und erarbeiten uns die Ideen immer gemeinsam. Bei All diese Gewalt ist es so, dass ich schichte. Ich fange mit einer Spur an und dann werden es immer mehr, bis es irgendwann hunderte von Spuren sind.“Bei seinen „Produktionsjobs“, die er aus Spaß an der Musik mache, müsse er einen ganz anderen Ansatz verfolgen. Dadurch, dass er kein Teil der jeweiligen Band und eigentlich nur für den Klang verantwortlich sei, könne er eine zusätzliche Subjektive in die Produktionen einbringen. „Ich mag alle diese verschiedenen Projekte und würde ungern eins davon missen.
Das Album soll in seinem Fluss gut funktionieren
Für sein neues Album „Welt in Klammer“ hat Max Rieger über 160 einzelne Stücke aufgenommen, die teilweise aus über 100 Einzelspuren bestehen. Zunächst habe er erst einmal alle Songs ohne klaren Plan eingespielt. Ausgehend von dunklen und brummenden Tönen wurden dann Melodien, Rhythmen und Texte miteinander verwebt. Eine Albumstruktur sei erst im Anschluss an den langen Aufnahmeprozess entstanden, als er die Stücke immer wieder in unterschiedlichen Reihenfolgen angehört und neu arrangiert habe. Bei einigen Songs sei ihm dann sehr schnell klar gewesen, an welchen Positionen des Albums er sie verwenden könnte. Sich aus einer Fülle von Stücken für einen einzigen Song zu entscheiden, sei aber keine einfache Aufgabe, so Rieger. „Ich wollte, dass das Album am Ende stringent ist und dass es einen roten Faden hat, auch wenn er nicht immer erkennbar ist. Das Album soll in seinem Fluss gut funktionieren. Wenn man es anmacht und die Augen schließt, soll man alles um sich herum vergessen können.“
Artwork von „Welt in Klammern“
Im Oktober wird Max Rieger sein neues Album auch auf die Bühne bringen. Unterstützung erhält er dabei von einer „spektakulär zusammengecasteten Band“, die aus Jannis Petterson von Walls and Birds, Thomas Zehnle von den Wolf Mountains und Dennis Melster von der Blue Angel Lounge besteht. Bei einer Fülle von intensiven Rhythmen und Melodien, sich langsam entwickelnden Klangbildern und teils schwer greifbaren Sounds scheint eine Live-Umsetzung jedoch äußerst schwierig – Bedenken, die auch seine Bandmitglieder geäußert hätten. „Es soll keine Wiedergabe des Albums sein, das habe ich auch direkt den Jungs gesagt. Ich will es live wieder neu interpretieren und wir werden auch nicht nur Songs aus Welt in Klammern spielen, sondern auch Neuinterpretationen von älteren Sachen sowie ganz neue Sachen. Ich stecke nämlich schon tief in der Produktion für das kommende All Diese Gewalt Album. Dafür habe ich jetzt schon wieder über 40 Demos aufgenommen.“ Obwohl er zwischendurch immer wieder an der nächsten All Diese Gewalt Platte arbeiten würde, möchte er hier noch nichts versprechen, sagt Rieger. „Das dauert wahrscheinlich alles seine Zeit und ist noch sehr vage. Außerdem habe ich auch sonst noch viel zu tun. Wenn es gut läuft, werde ich nächstes Jahr bei den Aufnahmen zur neuen Drangsal Platte dabei sein. Dann machen wir wahrscheinlich eine neue Fabian Platte und natürlich kommt auch ein neues Album von Die Nerven.“ All diese Gewalt live 18.10. Hamburg – Golem 19.10. Essen – Hotel Shanghai 20.10. Köln – Arttheater 21.10. Frankfurt – Mousonturm Studio 22.10. München – Import Export 23.10. Leipzig – Conne Island 24.10. Berlin – Roter Salon 26.10. Schorndorf – Manufaktur

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