Unsere 5 Favorit:innen beim Eurosonic Noorderslag Festival 2022
Noch im Herbst letzten Jahres, kurz bevor Omikron in die Pandemie kickte, war die Hoffnung groß, dass man sich endlich wieder „normal“ beim Eurosonic Noorderslag in Groningen treffen könnte – das konnte man sehr deutlich an den Hotelpreisen ablesen. Das ESNS ist seit Jahren die würdige Eröffnung des Festivaljahres – ein Schaulaufen jener europäischen Bands, die in den nächsten Jahren das Live-Geschehen prägen könnten. Hätten wir nicht immer noch eine Pandemie an den Hacken, würden sich in dem schmucken holländischen Studentenstädtchen in der Zeit vom 19. bis zum 22. Januar rund 350 Live-Acts, 4.000 Business-Nasen (Booker:innen, Promoter:innen, Journalist:innen) und ungefähr 40.000 Gäste treffen, um in Clubs, Cafés, Planetarien, Bars, Konzerthallen und hin und wieder auch auf Booten Live-Musik zu zelebrieren. Aufgrund der aktuellen Situation wurde dann jedoch schweren Herzens (aber natürlich absolut richtig) entschieden, das Festival wie schon im letzten Jahr virtuell stattfinden zu lassen. Was immerhin den Vorteil hat, dass man die Live-Sessions praktisch überall schauen kann. Das geht am besten, in dem man sich hier auf der Website ein Ticket für das Festival kauft. Oder aber, in dem man die Website und das YouTube-Profil vom ESNS im Auge behält: Da werden nämlich zahlreiche ausgewählte Shows for free gestreamt oder aber einzelne Songs als Video hinterlegt. Wir haben uns im Vorfeld durch das wirklich eindrucksvolle Line-up gehört und unsere fünf Favorit:innen aus fünf Ländern rausgepickt.
1. Shelter Boy (DE)
Wenn es im letzten Jahr einen Act aus deutschen Landen gab, dem man das Deutsche so gar nicht anhört und jederzeit eine internationale Karriere zutrauen würde – dann wäre das ja wohl Shelter Boy. Sein Debütalbum „Failure Familiar“ hat jedenfalls bewiesen, dass der Dresdener in seiner eigenen Liga spielt. Dabei klingt er mal wie ein angepisster Mac DeMarco, mal wie Tame Impala, nachdem die wieder Freude an ihren Gitarren gefunden haben und mal wie Grizzly Bear im Dreampop-Modus. Wobei all diese Vergleiche auch in die Irre führen: Denn Shelter Boys Stimme sorgt am Ende dafür, dass seine Songs durch und durch eigenständig bleiben.
Shelter Boy – Gazeback (Live Session)
2. Self Esteem (UK)
In ihrer britischen Heimat ist Rebecca Lucy Taylor alias Self Esteem schon lange kein Geheimtipp mehr. Ihr Album „Prioritise Pleasure“ wurde von der renommierten Tageszeitung The Guardian sogar zum Album des Jahres gewählt. Hierzulande darf sich die Kunde ihres Könnens gerne noch weiter verbreiten. Als Self Esteem verbindet sie Indie-Spirit, Soul Vibes und experimentellen Pop mit persönlichen, oft feministischen Texten. Prägendes Stil-Element des Album-Sounds ist ein Frauenchor, der ihr immer wieder zur Seite springt und ihre eh schon großen Refrains einmal in den Himmel und zurück singt. Vor ihrem Soloprojekt unter diesem Namen war Taylor übrigens Teil des ebenfalls sehr tollen Duos Slow Club.
Self Esteem – Prioritise Pleasure
3. Priya Ragu (CH)
Sie ist die Tochter von Sri-Lanka-Tamilen, in der Schweiz aufgewachsen und gerade viel in London unterwegs – das kosmopolitische, über Grenzen springende ihrer Musik kommt als nicht von ungefähr. Priya Ragu ist bei all dem auch noch eine schillernde Figur und eine verdammt gute Sängerin. Ihr Debütalbum „damnshestamil“ klingt genauso selbstbewusst wie sein Titel: Beginnt mit perfekt produziertem Soulpop auf „Leaf High“, wirft sich ins Neo-R’n’B-Game auf ihrem Hit „Good Love 2.0“ und zeigt mit „Chicken Lemon Rice“, dass sie auch eine veritable Rapperin sein kann. Mit „Lockdown“ hat sie außerdem noch den perfekten Song für diese seltsame Zeit auf Tasche.
Priya Ragu – Lockdown
4. LNDFK (I)
Die italienische Künstlerin mit tunesischen Wurzeln ist Songschreiberin, Sängerin und Produzentin. LNDFK veröffentlicht schon seit 2016 Songs, hat aber vor allem in den letzten zwei Jahren mit ihren Tracks und Features für Aufsehen gesorgt. Vor allem das dunkel groovende „Don’t Know I’m Dead Or Not“ feat. Chester Watson und das hypnotisch gehauchte „How Do We Know We’re Alive“ feat. Pink Siifu dürften allen gefallen, die zum Beispiel auf die Musik von Nicolas Jaar oder Jon Hopkins stehen. Das Debütalbum von LNDFK ist angeblich gerade in der Mache – und wenn sie die Qualität und die Atmosphäre ihrer letzten Tracks halten kann, dürfte das künstlerisch ein großer Wurf werfen.
LNDFK Feat. Chester Watson – Don’t Know I’m Dead Or Not
5. Ydegirl (D)
Props gibt es schon mal für den Bandnamen: Die Dänin Andrea Novel hat sich nach einer der berühmtesten Moorleichen ihrer Heimat benannt. Die Mädchenleiche wurde 1897 im Dorf Yde entdeckte – ein Teil ihres Schädels war anscheinend abrasiert, und ihr Becken hatte sich fast aufgelöst. Novel greift in ihrer erstaunlichen Kreuzung aus Folk, futuristischem R’n’B und Avantgarde in ihren Lyrics immer wieder Geschichten und Motive der feministischen Kulturgeschichte auf – darunter auch die Geschichte des Mädchens von Yde. Viel ist noch nicht von ihr erschienen, aber die Songs, die draußen sind, haben es in sich – zum Beispiel „Zodiac“. Auch ihre Live-Performances und Bühnen-Charisma wurden hochgelobt, was nicht wundert, wenn man dieses Video sieht …