Videopremiere: Die NNDW-Newcomer GAST blicken mit „Rehaugen“ ins Scheinwerferlicht
Wenn wir eine Sache an der florierenden NNDW-Szene abfeiern, dann, dass sie sich nicht zu Schade für Zusammenarbeiten jeglicher Art ist. Zwischen den verschiedenen Bands gibts es jede Menge personelle Überschneidungen und Bekanntschaften, außerdem ruft man immer wieder gemeinsame Show-Konzepte ins Leben, bei denen mehrere Acts zusammenkommen, statt eigenbrötlerisch ihr Ding zu machen. So stand das Tübinger Post-Punk-Duo Gast kürzlich mit Neunundneunzig und Nils Keppel auf der Bühne in der Berliner Berghain Kantine, drei verschiedene Facetten von moderner deutscher New Wave-Musik auf einem Fleck. Mit Nils Keppel gehen Gast nun auch in die nächste Runde, diesmal allerdings nicht als Live-Partner, sondern als Regisseur für das Musikvideo zum Gast-Song „Rehaugen“.
„Sind wir gut zu zweit oder nur scheiße allein?“
„Wie das Reh im Scheinwerferlicht“ – eine Phrase, die im Jahr 2023 zugegebenermaßen etwas steif und behäbig klingt. Trotzdem erzeugt dieses Sprichwort sofort klare Bilder im Kopf: Ein scheues Tier in einem Kegel aus Licht, ein Blickduell in der tiefsten Nacht, ein Verharren in einem kurzen Stillstand, der endlos erscheint. All diese Assoziationen kommen auch in den Sinn, wenn man sich das neue Musikvideo zu „Rehaugen“ von Gast anschaut. Das anfangs beschriebene Szenario wird hier zu Metapher für eine festgefahrene Beziehung, in der beide Teile davor scheuen, den entscheidenden Cut zu machen. Zeilen wie „Meine braune Augen schau’n in dein grelles Licht, wenn deine Motorhaube meinen Schädel küsst“ klingen so schauderhaft wie auch poetisch und davon gibt es zahlreiche in diesem Song. Auf den Punk gebracht wird die Thematik dann aber vielleicht doch von dieser Passage hier: „Sind wir gut zu zweit oder nur scheiße allein?“. Umgeben ist dieser Moment der schonungslosen Einsicht von brillierenden Lead-Synths à la New Order, robotischen Drum Computern und blubbernden Acid-Einschüben.
Goldene Vergangenheit und emotionale Eiszeit
Eine weitere Ebene bekommt der Song, der ursprünglich schon im Februar erschien, nun durch das neue Musikvideo, das die Band gemeinsam mit Nils Keppel umgesetzt hat. Sonst steht dieser als NNDW-Musiker selbst hinter dem Mikrofon, für „Rehaugen“ kümmert er sich allerdings um eine Visualisierung, die kaum stimmiger sein könnte. Besonders auffällig sind dabei die starken Kontraste zwischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die auch aus einem Horror-Film stammen könnten und solchen, die in warme Vintage-Farben getaucht sind. Vielleicht wird hier das Glück der Vergangenheit mit der emotionalen Eiszeit im Hier und Jetzt gegenüber gestellt? Immer wieder sehen wir die Darstellerin Luna Ilona Stegmaier, in einer finsteren Wohnung oder draußen im Schnee, abgetastet vom Scheinwerferlicht. Dazwischen flimmern VHS-Bilder von tristen Landschaften und Szenen von einem Live-Auftritt der Band, eine kunstvolle Collage, die Nils Keppel hier zusammengestellt hat.
Stück für Stück wird die Welt von Gast greifbarer, noch atmosphärischer, noch dichter. Nachdem schon im vergangenen Jahr die Selftitled-EP „Gast“ mit drei ersten Songs erschien, stellt „Rehaugen“ nun den Auftakt zur nächsten EP des Duos dar – und damit ein weiteres Puzzleteil in unserem Bild von den mysteriösen Newcomern.