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Neue EP von Lance Butters: Kopffick im „Sommer“

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Vom Battle-Rapper mit Anfang 20 über Future-Rap mit angepasstem SciFi-Sound und seinem beeindruckend-ehrlichen zweiten Album „Angst“ bis hin zum jetzigen EP-Release „Sommer“: Lance Butters haut mit seinen Lines und minimalistisch-ausgecheckten Beats eine beeindruckende Rapperpersönlichkeitsentwicklung aufs Parkett. Dabei ist seine Sprachkunst von selbst gekrönter Arroganz und Ignoranz, Selbstgefälligkeit und offenkundigem Desinteresse geleitet. Unerschütterliche Tiefen geben seiner Musik die Perfektion, sein ganzes Sein hörbar zu machen. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Butters den Respekt sowie die damit einhergehende Integration in die deutsche Rapszene als Segen und Fluch zugleich wahrnimmt. Bis auf Chissmann und Haftbefehl langweilt ihn der gesamte Lifestyle-Rap-Kosmos. Lance Butters hat also mehr zu bieten als einen weiteren Reim auf Balenciaga.

Angst ist Einstellungssache

Nach seinem letzten durchaus rabiaten Album „Angst“ von 2018 erschien zwei Jahre später die EP „Loner“. In diesem Werk betitelt sich der selbstreflektierende Rapper als langjähriger „Loner, Montag bis Sonntag streng anti-social.“ Passend dazu ziert das Single-Cover ein Kopf eines Schuhschnabels. Ein Vogel, mit dem er sich besonders identifizieren kann: Er ist gern alleine, nachtaktiv und vom Aussterben bedroht, wie der heute 34-Jährige im Diffus-Interview erzählt.

Mit dieser Haltung ließ Lance Butters seine Fans erstmal für zwei Jahre zurück. Sein langersehntes neues Lebenszeichen gab es dann mit dem Track „2019“, drei Wochen vor EP-Release. Darin rappt er nicht dem EP-Titel nach über zu erwartende Summer Vibes, sondern wie es ihm in der Zwischenzeit erging: Eine verrauchte Phase mit Einsamkeit, Trauer und dennoch heilender Wirkung.

Alles nur in seinem Kopf

Vielleicht genau deshalb eine heilende Wirkung, weil Lance Butters sich zugesteht, dass alles nur in seinem Kopf stattfindet. Ein zwar bedrängendes Gefühl, welches ihm jedoch gereimte Flows mit ausgefeiltem Minimalismus entlockt. Durch diese Soundsymbiose entsteht eine Art unantastbare Nähe zu Butters. Denn in nur wenigen Minuten einen derart ergreifenden Gruß aus der Rapküche auf dem Silbertablette serviert zu können, passiert selten. Mit einem unerwarteten Videorelease mit einem weiteren EP-Track nur drei Tage vor Release sorgt der Rapper für ein echtes Gefühlschaos. Mit dem Song „Knock Knock“ wird deutlich: Es geht um psychische Erkrankungen und eine verdammt harte Zeit! Sozusagen ein Sommer, der von mentalen Hitzewellen durchflutet ist.

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Das Video warnt bereits vor dem Anschauen vor Trigger, da Depressionen darin visuell beschrieben werden. Vom Bass getrieben tanzt eine Frau in ihrem abgedunkelten Zimmer in rhythmisch-abgehakten Bewegungen zum Text. Bereits beim ersten „Knock Knock“ und dem Klopfen gegen die Schläfe wird der Leidensdruck deutlich. „Alltag langweilig, Blick wie Billie Eilish“ und eine dunkle Stimmung zieht durch den Raum.

Hinter der Maske spricht Lance Butters Bände

Wer in die Platte reinhört, wird mit doppeldeutig-ehrlichen Texten auf reduzierten Beat-Skeletten in einen viel zu heißen Sommer gejagt. Die teilweise sphärischen Rapparts katapultieren jedoch in einen kühlen, dunklen Kellerraum, indem alles passieren darf. „Sommer“ ist wie eine Art Albumerweiterung, „Angst“-2.0. Während die EP im altbekannten ironischen Stil startet und glückliche Summer Vibes versprüht, wird man nach wenigen Sekunden in den Eiskanister geschmissen. In übermotivierter Kiffer-Attitude reimt Butters von „Erfolgsdruck und Panik“ und schraubt den Beat im Drop auf halb so schnell. Er macht klar, dass alles, was er denkt und sagt, nur in seinem Kopf stattfindet und fragt sich am Ende: „Wer rettet mich?“.

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Die gesamte EP ist ein 21-minütiger Ritt durch Lance Butters‘ Kopf. Zwischen Gesellschafts- und Selbstkritik, eine selbsternannte verlorenen Leitfigur für Verlorene. Beats, die wie dumpf-knallende Druckwellen den Schmerz auf die Ohren peitschen. Wie ein bitter-süßer Sound-Tsunami, der auf epische Art eine Panikattacke simuliert und flüstert: „Alles nur in meinem Kopf“. Neue Sounds und alt-bekannten Rhymes wie „Ey dis is, ey dis is, ey dis is wie ich raaap“ sorgen jedoch für einen gesund-arroganten EP-Schluss, der den Künstler mit erhobenem Haupt das Mic droppen lässt.

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