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Rakede-Sänger Schmyt nimmt uns mit in die emotionale Endzeit

Vor mittlerweile fünf Jahren veröffentlichte die Indie-Band Rakede mit „Jetzt gehst du weg“ aus dem Nichts einen Hit, der sich sehen lassen kann: Space-Reggae trifft auf zersägenden Dubstep und deutsche Texte. Es folgten zwei Alben und Zusammenarbeiten mit Größen wie Seeed, Samy Deluxe und Tua – und dann drei Jahre Funkstille, ohne musikalisches Signal aus der Rakede. Für viele Fans gab es da nur eine Interpretation, die die Band vor wenigen Tagen über ihr Instagram-Profil bestätigt hat: Rakede ist Geschichte. Doch wo sich eine Tür schließt, geht eine andere auf: Sänger Julian Schmit beginnt unter dem Namen Schmyt eine ambitionierte Solo-Karriere. Diese feierte mit dem Song „Niemand“ sowie Feature-Parts für Majan, Megaloh und Yassin bereits einen gebührenden Auftakt, nur um jetzt mit der neuen Single „Taximann“ so richtig an Fahrt aufzunehmen. Valentin Hansen ist für das düstere Video verantwortlich, während Haftbefehl-Produzent Bazzazian den passenden Beat liefert: Melancholisches Klavier wird von harten Drums verschluckt, Klagen wird zu Schreien, der Soundtrack für Selbstzerstörung auf dem Highway to Hell.

Wie klingen wohl die unendlichen Weiten des Universums? Wenn man die Besatzung der Indie-Band Rakede fragt, dann wohl nach sphärischen Reggae-Sounds, zersägendem Dubstep und futuristischem Pop. So klingen zumindest die beiden Alben, die uns die Berliner Band beschert hat, inklusive Songs wie „Jetzt gehst du weg“ und „Nimm mich mit“, die vom gemauschelten Geheimtipp zu ernstzunehmenden Hits geworden sind. Neben der breiten Masse konnten die Jungs von Rakede auch einige Kollegen als Fans gewinnen und arbeiteten so bereits mit Künstlern wie Samy Deluxe, Seeed und Tua zusammen.

Trotz dieser augenscheinlich perfekten Rahmenbedingungen gab es bereits seit 2017 kein musikalisches Lebenszeichen mehr und vor wenigen Tagen bestätigten sich per Instagram die schlimmsten Befürchtungen eines jeden Anhängers der Band: Rakede gibt es nicht mehr. Trotzdem wird das musikalische Vermächtnis weitergetragen: Affe Maria, seines Zeichens Ex-Rakede-Mitglied und Produzent, tüftelt bereits an neuen Sounds und Sänger Julian Schmit steht mit eigenem Material sogar schon in den Startlöchern.

Als Solo-Künstler nennt sich der Berliner Schmyt und schon jetzt wird er mit offenen Armen in der Deutschrap-Szene willkommen geheißen: Gemeinsam mit Yassin liefert er einen musikalischen Beitrag für das Hörbuch „Taubenleben“ von Paulina Czienskowski, während Majan ihm einen Part auf seinem Song „Monoton“ anvertraut.

Majan feat. Schmyt & Megaloh – Monoton

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Um die tatsächliche DNA von Schmyt zu verstehen, muss man jedoch einen Blick auf sein neues Solo-Material werfen, abseits von Features und Kollaborationen. Als erste Single wartet Schmyt mit „Niemand“ auf. Kein Feuerwerk zur Begrüßung, kein zeitgeistiger Materialismus, stattdessen eine Bekenntnis an die emotionale Zerrissenheit nach dem Beziehungs-Aus. Der Song nimmt uns mit in die Situation eines beklemmenden Aufeinandertreffens: Der Ex und der Neue. Auf die Frage nach dem Wer, sagt sie ihrem neuen Freund nur „Ach, das ist niemand“. Das erzählt Schmyt begleitet von bedrohlichen Klaviernoten, die zeitgleich mit seiner Stimme schließlich ausbrechen: „Niemand macht sich kaputt, hängt bis morgens neun im Club/ Macht auf cool, doch heult im Suff, ja, niemand möchte dich zurück“. Den doppeldeutigen Text schreit Schmyt schonungslos ehrlich hinaus und gewährt so einen musikalischen Blick hinter die Fassade des eigenen Stolzes.

Für den Song „Niemand“ hat Schmyt mit Szene-Geheimtipps zusammengearbeitet, wie er selbst einer ist: Valentin Hansen hat das rohe Video realisiert, während Bazzazian, der zuletzt für seine Produktion auf Haftbefehls „DWA“ in aller Munde war, den Beat produziert hat. Das selbe Gespann kommt nun auch für die neue Single „Taximann“ zusammen, die nahtlos an ihrem Vorgänger anknüpft: Aus Frust wurde Resignation, die Gefühle, die gerade noch so gebrannt haben, sind alle abgestorben und tot. Schmyt sitzt im Taxi, wohin ganz egal, und wenn es nur die Leitplanke ist. Seinen gelallten Monolog in Richtung Fahrer untermalt Bazzazian wieder mit Klavier, bis der Motor mit der Hook aufheult: „Fahr zur Hölle, Mann, gib Gas! Taximann, was muss ich zahlen?“.

Schmyt – Niemand

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Erneut beweist Schmyt, dass er sich auf Wortwitz und Doppeldeutigkeiten versteht, die erstaunlich gut in sein Szenario der emotionalen Endzeit passen. Die Fahrt in Richtung Fegefeuer zeigt Regisseur Valentin Hansen in verschwommenen, hektischen Bildern, passend zur Dringlichkeit in Schmyts Gesang. „Taximann“ erinnert an manchen Stellen an Majan, dann doch eher an Trettmann, in der Hook vielleicht an Bausa? Aber trotz dieser einzelnen Assoziationen klingt Schmyt letztendlich so einzigartig, dass man sicher immer wieder ins Gedächtnis rufen muss, dass die selbe Stimme auch schon zwei Rakede-Alben besungen hat. Als Solo-Künstler zeigt Julian Schmit neue Facetten, schlägt die Brücke zwischen Gesang und Hip Hop und offenbart uns emotionale Abgründe. So bleibt nur noch, alles Kleingeld heraus zu kramen, zu Schmyt ins Taxi zu steigen und zu sehen, wo die Fahrt hingeht.

Schmyt – Taximann

https://youtu.be/dDt36DzLrrc

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