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Wo hört Inspiration auf? Zwischen Weltmusik und kultureller Aneignung

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Weltmusik bezeichnet in erster Linie einen Musikstil, der nicht klar zu verorten ist und der zwischen verschiedenen Kulturen agiert. Soweit so gut. Doch im Laufe der Musikgeschichte hat sich das Genre, wie auch die Debatte darum, verändert. So kamen soziologisch geprägte Begriffe und Weltansichten hinzu, die das Thema sehr komplex gemacht haben. Angefangen bei westlicher/nicht-westlicher Musik, endet die Debatte schließlich bei Konzepten der kulturellen Aneignung. Doch fangen wir von vorne an.

‚Weltmusik‘ – ein Wort, das polarisiert

Der Begriff „World Music“ kam in den 1960er Jahren auf und wurde schnell von der Musikindustrie aufgegriffen. Endlich gab es eine Kategorie, in die sich Platten, die nicht eins-zu-eins einem Genre entsprachen oder irgendwie „fremd“ klangen, einordnen ließen. Seit der ersten Verwendung des Begriffes im Jahr 1905 wird bei diesen „genre übergreifenden“ Musikstilen in der Regel jedoch eine Kombination aus westlicher Musik und Musik aus nicht-westlichen Kulturkreisen gemeint. Das ganze Konzept „Weltmusik“ beruht also auf einer Anschauung, die sehr westlich geprägt ist. Diese Einteilung in „den Westen“ und „den Rest“ gilt als ein essentieller Mechanismus, der die eigene Macht sichert, indem man das „Andere“ abwertet und zu einer diffusen Masse zusammenfasst. Wenn man zum Beispiel über Afrika redet, tut man das oft als „exotisches großes Ganzes“. So wird es übrigens einfacher Stereotype zu verbreiten und rassistische Denkweisen zu etablieren: Wenn man ganz Afrika zusammenfassen kann, dann fällt es auch nicht schwer, ein Bild zu kreieren, auf das Vorurteile zutreffen. Aus heutiger Sicht knüpft Weltmusik also klar an dieses Weltbild an, das bis in die 1990er-Jahre, teilweise auch noch heute, gar nicht hinterfragt wird. Dadurch ist Weltmusik aber natürlich noch nicht per se schlecht, rassistisch oder böse, doch die Kategorie Weltmusik als solches ist aus heutiger Sicht schon mal kritisch zu beurteilen und nicht mehr zeitgemäß.

Die Entwicklung des Genres

Vorreiter der Weltmusik im Kontext der Pop-Musik waren übrigens wieder einmal die Beatles, die mit dem indischen Sitar-Spieler Ravi Shankar zusammenarbeiten. George Harrison tauschte seitdem immer wieder seine Gitarre gegen das Saiteninstrument mit dem langen Hals und dem hohen Klang.

The Beatles – Within You Without You

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In den 70er- und 80er-Jahren wuchs die neue Kategorie schnell und besonders Peter Gabriel gab der Entwicklung durch ein eigenes Weltmusik-Plattenlabel und ein Festival einen großen Anschub. Grundgedanke war, neue Verbindungen unter Kulturen zu schaffen und internationale KünstlerInnen in Europa auftreten zu lassen. Daraufhin wurde es allerdings mehr und mehr zur Mode, Musik mit traditioneller, außereuropäischer Musik einen exotischen Reiz zu verleihen. Dabei verschwommen die Grenzen und die Definition des Begriffes „Weltmusik“ immer mehr. Zur Neugier, Inspiration und Experimentierfreude kam auch eine kommerzielle Motivation hinzu und der zentrale Aspekt des kulturellen Austausches fiel mehr und mehr in den Hintergrund.(Mehr Infos zum kulturellen Austausch in der Musikgeschichte findet ihr Kulturelle Aneignung in der Musikgeschichte.) Während einerseits in den vergangenen Jahrzehnten der kulturelle Austausch im Internet zum Alltag wurde und die Inspiration nur noch ein paar Klicks entfernt ist, befindet sich die Gesellschaft noch inmitten der Auseinandersetzung mit dem oben beschriebenen Weltbild. Noch wird die Debatte um das N-Wort mit Regelmäßigkeit geführt und ist nur ein Beispiel für die ungleich verteilte Macht. Zwar ist der Austausch viel fließender und schneller geworden, doch auch trotz multikultureller Großstädte ist Rassismus, ob sozialer oder struktureller, noch immer allgegenwärtig – erfährt sogar einen Aufschwung. Kulturelle Codes spielen gerade deshalb eine große Rolle und geben nicht zu Letzt auch benachteiligten Gruppen, Halt und Identität. Der Kontext, in dem interkulturelle Musik stattfindet, ist daher umso wichtiger. Ein kritischer Umgang mit den eigenen Privilegien ist also auch beim Musikmachen unabdingbar geworden. Das greift besonders dann, wenn man sich an musikalischen Vorbildern aus aller Welt bedient.

Milky Chance – Eden’s House feat. Ladysmith Black Mambazo

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Aktuelle Entwicklungen

Wenn sich Milky Chance also entscheiden ihren internationalen Sound auf ihrem neuen Album „ Mind The Moon “ erweitern, ist es gut, dass sie dafür mit dem Chor „ Ladysmith Black Mambazo “ zusammenarbeiten. Genauso wichtig ist es aber auch, den Chor nicht als ‚afrikanischen Chor‘ hervorzuheben, sondern zu erzählen, dass es Musik aus Südafrika ist. In unserem Milky Chance im Interview mit Daniela erzählen sie, dass es keine bewusste Entscheidung war globaler zu klingen: „Alles was jetzt in unserer Musik ist, das war schon immer in uns. Aber jetzt ist es ausgereifter und deshalb auch klarer zu hören.“ Wenn Ibeyi allein schon durch die verschiedenen Sprachen (Englisch, Französisch, Spanisch und Yoruba) Diversität und Interkulturalität respektvoll in ein gutes Popgewandt stecken, ist das gut! Wenn sich Beirut nach einer Stadt benennen, die sie selbst zu diesem Zeitpunkt nie besucht haben, ist das schon ein kritischer Punkt. Hinzu kommt, dass die musikalischen Einflüsse zwar östlich der Amerikaner zu verorten sind, allerdings nur wenig mit der libanesischen Musikkultur zu tun hat. Wenn aber ein Austausch stattfindet und auch die verschiedensten Strömungen der Sinti und Roma Kultur stattfinden kann, dann hat die Musik ein umso größ eres Potential. Wenn auf Biegen und Brechen ein ‚afrikanischer’ Sound für die Fußball WM 2010 hermuss, und der dann auf Fang von Shakira gesungen wird, dann ist auch das kritisch zu beurteilen. Würde daraufhin eine ernsthafte Auseinandersetzung im großen Stil mit dem Originalsong „Zangaléwa“, einem Soldatenlied aus Kamerun, folgen, wäre auch dieser Song ein Beispiel, für nachhaltigen, kulturellen Austausch. Das Lied ist in weiten Teilen Afrikas vor allem bei Soldaten und Polizisten beliebt. Inhaltlich beschäftigt sich das Lied mit Soldaten Kameruns, die sich in Zeiten der Unterdrückung an die Seite der Kolonialherren stellten. Wenn sich Shirin David oder Ariana Grande einen dunkleren Hautton aufsprühen oder einen Akzent imitieren, um ihrer Musik etwas Neues oder Exotisches zu verleihen, ist das noch viel kritischer anzusehen! Gleichzeitig zeigt es, dass selbst eine Hautfarbe, die in vielen anderen Lebensbereichen einen strukturellen Nachteil mit sich bringt, kommerzialisiert und zu einem Trend gemacht werden kann. Wenn weiße MusikerInnen andere Kulturen imitieren oder sich daran bedienen, anstatt eine Zusammenarbeit anzustreben oder die Auseinandersetzung mit internationalen Einflüssen zu würdigen, ist auch das kritisch. Wenn Elvis gehuldigt wird, die Popmusik erfunden zu haben und Sister Rosetta Tharp, Chuck Berry oder Little Richard unerwähnt bleiben, ist auch das sehr kritisch zu sehen.

Die Chancen der Weltmusik

Letztlich sind es viele Einzelheiten, die darüber entscheiden, wie kritisch ein Stückchen Weltmusik zu betrachten ist. Popkultur wird lange nicht mehr nur durch Musik kommuniziert, sondern auch durch Style, Shows, Musikvideos und Social Media-Auftritte. Aneignung kann also auf mehr Ebenen stattfinden, aber genauso gibt es auch die Chance auf viel mehr Kontext, der ein großes Licht auf einen Funken Inspiration werfen kann. Gerade die unabsichtliche und naive Verwendung traditioneller Objekte, Codes oder Gegenstände, kann schnell zu Verfälschungen führen und die immer noch präsenten Machtunterschiede und rassistischen Gesellschaftstendenzen schüren. Solange es Rassismus, Sexismus und postkoloniale Machtstrukturen gibt, muss auch bei MusikerInnen eine bewusste Auseinandersetzung mit Kulturen, kulturellen Minderheiten und ein Dialog bestehen.

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