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„Wildberry Lillet“ mit Nachgeschmack: Warum der Hass gegen Nina Chuba ungerechtfertigt ist

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Tagged: Nina Chuba

Die steile Erfolgskurve von Nina Chuba scheint wie aus dem Bilderbuch. Mit einem Song über schicke Getränke zum Frühstück hat sich die Künstlerin praktisch seit dem vergangenen Sommer in die Köpfe aller gesungen, die Rundfunk- oder Internetzugang besitzen. Natürlich kam der unaufhaltbare Erfolg von „Wildberry Lillet“ nicht nur bei Fans an, sondern auch jenen zu Ohren, die es der 23-Jährigen so gar nicht gönnen. Immer wieder hört und liest man vor allem in Kommentarspalten von Social Media Plattformen den Vorwurf, sie sei eine „Industry Plant“, würde ihre Texte von Ghostwriter:innen schreiben lassen und habe das alles ja eigentlich gar nicht richtig verdient. „Wilberry Lillet“ sei eine kapitalistische Hymne, mit der sie quasi über Nacht zum Star wurde. 

Scheint so, als wäre vielen der rasante Aufstieg einer jungen Frau mit kreativer Vision gar nicht so recht. Denn: Gibt es nicht eigentlich sehr viele Künstler:innen, die sich anhand von Statussymbolen feiern, mit einem großen Kreativteam im Rücken arbeiten und ihre Texte nicht ausschließlich selbst verfassen? Die einfache Antwort auf diese Frage: Ja. Der wütende Hass gegen Nina Chuba ist also nicht nur ungerecht, sondern auch absolut grundlos. 

Das Feiern von Statussymbolen 

Finanziellen Erfolg in Musik zu thematisieren, passiert mindestens seitdem der Wu-Tang Clan uns geraten hat: „Get the money, dollar dollar bill y‘all“. Vor allem im Hip-Hop ist es von Beginn an ein regelrechtes Stilelement, an dem gleichzeitig der musikalische Erfolg gemessen wird. Was hier gefeiert wird, sind jedoch nicht der Kapitalismus an sich oder die Menschen, die seit Geburt in einem System von Ausbeutung profitieren. Es ist eine Zelebrierung, es vor allem als schwarze oder migrantische Person, von einer benachteiligten Situation heraus bis ganz nach oben geschafft zu haben. Weg von täglichem Struggle, hin zur Million. An diesem Stil bedienten sich im Laufe der Zeit nicht nur Menschen, die einer Armutssituation entfliehen wollen. Im Rap wird heute überall und immer wieder mit Statussymbolen geprahlt und gezeigt, dass man es mit seinem musikalischen Talent sehr weit gebracht hat. Man flext eben.

Was auch Nina Chuba in „Wildberry Lillet“ tut – auf eine leichte, eher ironische Art. Nina startete nicht aus einem sozial benachteiligten Umfeld, verwendet jedoch hier die Flex-Attitüde als spielerische Metapher für ihren Erfolg. Es geht eben nicht um das „Reich-Sein“, sondern um das „Reich-Werden“, dem hier die Aufmerksamkeit gewidmet wird – und das zum Zeitpunkt der Entstehung von „Wildberry Lillet“ noch gar nicht in Sicht war. Der Song ist eine Ode an die selbst erarbeitete Karriere und daran, endlich das zu haben, was sie sich immer erträumt hatte. Nina macht hier im Prinzip also dasselbe, was viele eurer Lieblingsrapper schon ihre gesamte Musikkarriere lang tun. Komisch also, dass es erst dann uncool wird, sobald sich eine Frau die Villen und das Vermögen dieser Welt schnappen will. Vielmehr als eine Feier des Kapitalismus sind die Immos, Dollars und Canapès zum Frühstück ein Sinnbild, sich auf den Lorbeeren der erarbeiteten Karriere ausruhen zu können.

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Ein kurzer Blick auf ihre Diskografie zeigt außerdem: Nina Chuba kann auch ganz andere Gedanken zu Papier bringen, und die waren auch schon vor „Wildberry Lillet“ ziemlich gut. Ihre Songs unterscheiden sich inhaltlich stark voneinander. Sei es die Thematisierung der psychischen Erkrankung einer nahestehenden Person in „Nicht allein“ oder Selbstzweifel in „Glas“ – es gibt zahlreiche Beispiele, dass Nina Chuba in ihren Liedern nicht nur Reichtum und „Habgier“ thematisiert. In „Alles gleich“ spricht die Künstlerin außerdem darüber, dass ihr persönliches Glück außerhalb dessen steht, was mit ihrer Karriere passiert. Da sei es ihr doch allemal gegönnt, einen Track im Petto zu haben, der es einfach nur feiert, ein fruchtiges Kaltgetränk zum Frühstück zu schlürfen. 

„Industry Plant“ und Ghostwriting

Der wahrscheinlich häufigste Negativ-Kommentar, den man findet, wenn man online durch Nina Chuba-Content scrollt, ist der Vorwurf, die Künstlerin sei eine „Industry Plant“. Kommentare wie diese sind keine Seltenheit in den Kommentarspalten unter ihren Interviews: „Sie kam aus dem Nichts, hat Ghostwriter und Plattenfirmen im Rücken, keine großartige Historie, erstes Lied lief sofort im Radio und war ein Hit… Industry Plant welche noch den Hype von Deutschrap ausnutzt um ihre Mukke besser zu vermerkten“. Als „Industry Plant“ werden in der Musikindustrie Artists bezeichnet, hinter deren Karriere vermeintlich ein ausgeklügelter Marketingplan steht. Dieser soll sie so weit pushen, bis ein kommerzieller Durchbruch eintritt. Quasi wie eine Pflanze, die man gießt und düngt und der man beim Sprießen zusieht. Im Zusammenhang damit steht oft das Argument, diese Künstler:innen wären an keinem Part ihrer Musik selbst beteiligt und alleine von Manager:innen, Produzent:innen und Ghostwriter:innen in ein fertiges Kostüm gezwängt worden, in dem sie nun nur mehr performen müssen. Der einzige Job sei es, gut auszusehen und am Ende die Taschen aller Beteiligten füllen.

Nach der riesigen Hype-Welle von „Wildberry Lillet“ muss sich Nina Chuba diesen Vorwurf immer wieder anhören. Eine Aussage, die ihr jegliches Können komplett abspricht. Dabei ist ihr Set-up alles andere als ungewöhnlich: Nina Chuba schreibt zusammen mit anderen Musiker:innen und singt auf die Melodien von verschiedenen Produzent:innen. Über ihren genauen Arbeitsvorgang sprach sie bereits im vergangenen Jahr im DIFFUS Interview. Der Eindruck, dass jede:r Solo-Artist alleine für den eigenen Erfolg verantwortlich ist, ist eine genauso große Illusion wie der weiße Puffer-Mantel von Papst Franziskus. Musiker:innen arbeiten immer mit sehr vielen Menschen im Hintergrund, die sie in verschiedenen Bereichen unterstützen. Von Songwriting bis hin zur Technik und Management greifen sehr viele Rädchen ineinander, die am Ende ein großes Projekt ergeben, auf dem eben oft nur ein einzelner Name steht. Ninas Karriere lebt allerdings mindestens so stark von ihrem Charisma, ihrem sehr natürlichen und lustigen TikTok-Grind, ihrer Energie, ihrer Schlagfertigkeit – und vor allem: ihrer außergewöhnlichen Stimme.

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Obwohl Ninas Set-up ein sehr üblicher Weg ist, Musik zu produzieren, werden Zusammenarbeiten vor allem bei weiblich gelesenen Künstler:innen gehäuft zum Thema gemacht. Dadurch wird ein weiterer Bereich geschaffen, in dem Frauen die Selbstständigkeit abgesprochen und davon ausgegangen wird, sie könnten allein sowieso nichts erreichen. So kämpften in der Vergangenheit auch Artists wie Shirin David oder Badmómzjay mit denselben Vorwürfen, die nun auch an Nina Chubas Erfolg kratzen wollen. Diese war nämlich von Anfang an sehr transparent und offen in der Kommunikation, was ihre Kollaborationen angeht. Unterstützung und Synergien mit anderen bedeuten jedoch nicht, dass sie nicht selbst arbeitet, schreibt und ihre Songs dazu auch noch grandios performt. Falls es bei manchen noch immer nicht angekommen ist: Auch weibliche Musikerinnen sind kreativ, haben künstlerische Visionen und den Willen, diese umzusetzen. Und auch männliche Künstler arbeiten mit einem Team aus verschiedenen kreativen Köpfen zusammen. Nur weil eine Frau erfolgreich ist, heißt das nicht, dass sie selbst nichts dazu beigetragen hat. 

One-Hit-Wonder mit Erfolg von 0 auf 100 

Der Erfolg von „Wilberry Lillet“ passierte gefühlt in der Sekunde eines Wimpernschlags. Dank TikTok können heutzutage Songs in kürzester Zeit eine extreme Reichweite einholen, und so das Ohrwurmpotenzial steigern. So geschah es auch mit dem Durchbruchs-Track von Nina Chuba, der bereits vor Release in über 20.000 Videos verwendet wurde. 

Bevor der Song über das rötlich gefärbte Getränk am 12. August 2022 erschien, war die 23-Jährige jedoch kein absoluter Frischling im Geschäft. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits dreieinhalb Jahre lang als Musikerin tätig und veröffentlichte zunächst englischsprachige Songs. Erst im Oktober 2021 wechselte sie dann zu deutschen Lyrics und konnte dadurch vermehrt Aufmerksamkeit generieren. Der Durchbruch mit „Wildberry Lillet“ war also ein glückliches Ergebnis als Folge jahrelanger Arbeit. 

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Anders als viele Social Media-Kommentare behaupten, war es weder Ninas erster Song noch der einzige „Hit“, den sie landete. Denn bereits kürzeste Zeit später wurde mit weiteren ohrenschmeichelnden Melodien und Texten gepunktet. Schon zwei Monate nach der Explosion von „Wildberry Lillet“ fesselte uns Nina Chuba mit Chapo102 auf dem Track „Ich hass dich“ und legte mit einer polarisierenden Doppelsingle aus „Glatteis“ und „Fieber“ mindestens genauso stark nach. Diese sind nur drei von zwölf Songs, die es auf das Debütalbum der Wahlberlinerin geschafft haben. Dieses schreit aus vollem Halse gegen einen Ruf als „One-Hit-Wonder“. „Es wird noch viel passieren, ich bin sehr gespannt und freue mich unfassbar“, sagt die Künstlerin selbst über ihre musikalische Zukunft im DIFFUS Interview. 

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Überfliegerin mit Talent

Ob die Songs von Nina Chuba nun dem eigenen Musikgeschmack entsprechen oder nicht, bleibt natürlich jedem/jeder selbst überlassen. Worüber jedoch nicht gestritten werden kann ist, dass die Tracks hochwertig produziert, treffend geschrieben und stimmlich klar sind. Und vor allem, dass sie selbst einen enormen Beitrag zu ihrem Erfolg geleistet hat. Wenn eine junge Frau erfolgreich wird, steckt dahinter weder ein reiner Marketingplan noch eine Gruppe an Ghostwriter:innen – manchmal braucht es einfach eine einprägsame Melodie auf einem coolen TikTok-Account. Es gibt daher keinen Grund, ihr das Erreichte nicht anzuerkennen und es ihr nicht so richtig zu gönnen. Wie allen anderen Musiker:innen auch, die es schaffen mit dem groß und bekannt zu werden, was sie aus vollem Herzen lieben. 

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