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Die 10 besten Songs 2023 national

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2023 war musikalisch ein spannendes Jahr. Das gilt auch für die heimische Musikszene. Neue außergewöhnliche Stimmen, Newcomer:innen, die aus dem Stand einen Hit landen, alte Helden, die mit jungen Rappern bonden, emotionale Songs, die uns schon beim ersten Hören eine Gänsehaut über den Körper jagten – alles dabei. Was uns dabei besonders gefiel: Ein Großteil der Künstler:innen, die es in unsere Top 10 der besten nationalen Songs des Jahres schafften, sind eher Newcomer:innen. Viel Talent also, damit es auch in den nächsten zehn Jahren nicht langweilig wird.

Apsilon – Baba

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Machen wir uns nichts vor: Auch wenn zur Zeit gerne mit Begriffen wie „Wokeness“ und „Mental Health“ um sich geworfen wird, ist die deutsche Rap-Szene immer noch zutiefst geprägt von ziemlich konservativen Interpretationen vom Mann- und Mensch-Sein. Der Newcomer Apsilon kennt ähnliche Stereotype aus seinem Elternhaus – und hat mit „Baba“ im November einen Befreiungsschlag gewagt, der bis jetzt nachhallt. Dabei ist der Song an seinen Vater und alle anderen Babas dieser Welt keineswegs eine verbitterte Abrechnung. Stattdessen sagt Apsilon: „Ich kenn das auch, Baba“ und bietet Verständnis und offene Arme. Damit schlägt er Risse in die Fassade der Männlichkeit und nimmt eine Perspektive ein, die selten abgebildet wird, vor allem vor einem migrantischen Hintergrund. Mit „Baba“ wächst Apsilon einmal mehr über den Deutschrap-Horizont hinaus und reflektiert nicht nur sein eigenes Vater-Sohn-Verhältnis, sondern spricht tausenden anderen jungen Menschen aus der Seele.

Berq – Rote Flaggen

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Nachdem Berq Ende 2022 seine Debütsingle „Echo“ sowie im März 2023 den Song „Achilles“ veröffentlichte, kristallisierte sich schnell heraus, dass da etwas ganz Großes schlummern könnte. Dass wir mit dieser Vermutung nicht ganz falsch lagen, darauf deuteten die Entwicklungen des Jahres hin: Diverse Festivalauftritte, eine Performance beim ZDF Magazin Royal oder die Nominierung für den New Music Award 2023 zeigen, dass die Songs von Berq in 2023 mehr als nur den Indie-Untergrund bewegt haben. Einer, der daran sicherlich auch einen großen Anteil hat, ist „Rote Flaggen“ – der Titeltrack von Berqs Debüt-EP ist. 

In Zeiten von Social Media und TikTok-Trends wurde der Begriff „red flag“ im letzten Jahr zwar recht inflationär verwendet, doch wenn Berq über die roten Flaggen aus seinem Leben singt, dann klingt das nach wahren Gefühlen – nach innerer Zerrissenheit zwischen Gehen oder Bleiben, wenn sich die roten Flaggen auf der Einfahrt der oder des Geliebten häufen. Verpackt in einem knapp vierminütigen Song aus epochalen Ups und Downs ist „Rote Flaggen“ das Aushängeschild für Berqs stimmliche aber auch musikalische Schlagkraft. 

Apache 207, Udo Lindenberg – Komet 

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Am 19. Januar spielte Apache 207 seine ausverkaufte Zusatzshow in der Berliner Mercedes Benz Arena. Doch auf die Überraschung, die sich ganz zum Schluss des Konzerts offenbarte, waren wir ehrlich gesagt nicht vorbereitet. Um 22 Uhr Ortszeit schlug er ein, der „Komet“ in Form des gemeinsamen Songs von Apache 207 und Udo Lindeberg und feierte noch während der Show seine Premiere. Ein Spektakel der ganz besonderen Art, dessen Nachbeben unerwartet groß waren. „Komet“ wurde zum absoluten Über-Hit des Jahres – und das generationenübergreifend. Ein Song, bei dem zu Omas 70. Geburtstag die Tanzfläche rappelvoll ist, weil sich irgendwie einfach alle auf die beiden sagenhaften Sonnenbrillenträgern Udo Lindenberg und Apache 207 einigen können. 

Paula Carolina – Schreien!

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Paula Carolina veröffentlicht erst seit 2021 Musik, doch schon in dieser kurzen Zeit hat die Newcomerin eine erfolgreiche Soundentwicklung hingelegt. Nachdem ihre Debüt-EP „Aus der Blüte des Lebens“ noch nach akustischem Indie-Pop-Rock klang, vollzog die Newcomerin bereits Ende 2022 mit ihrer Single „Trophäe“ eine ziemliche Kehrtwende. Diese Weiterentwicklung setzte dann im Februar 2023 „Schreien!“ fort: Ein aufgedrehter Song über die aufgedrehte Hauptstadt nach Vorbild von aufgedrehten NDW-Bands wie Ideal – irgendwo zwischen den 80ern und 2023.

Krachende Chorus-Gitarren, Synth-Verzierungen an jeder Ecke, ein Drum-Beat der nach vorne geht und Paula mittendrin – all das erwartet euch auf „Schreien“. Das Thema? Berlin! Paula Carolina witzelt charmant über die Metropole und ihre Leute. „Was machst du? Ich mache Webdesign“, heißt es da oder „Mama, Mama, der Mann da vorne trägt ein Kleid“ – Gesprächsfetzen, die so oder so ähnlich alltäglich im bunten Wirrwarr zwischen Gedränge am Bahnsteig und Matcha-Latte im Szene-Café zu hören sind. Gepaart mit Paulas charmanter Art und Weise zu singen und der unheimlich ansteckenden Dynamik trug uns „Schreien!“ durch vielen Monate dieses Jahres.

Céline feat. Paula Hartmann – 3 Sekunden

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„Heftiger Song über ein wichtiges Thema!“, fasst es ein YouTube Kommentar zwar simpel, aber durchaus passend zusammen. Er befindet sich unter dem Musikvideo von „3 Sekunden“, dem gemeinsamen Song von Céline und Paula Hartmann. Doch „3 Sekunden“ ist nicht allein wegen seiner beeindruckenden Kombination von zwei extrem talentierten Sängerinnen so besonders, sondern auch weil Paula und Céline darin über das schwerwiegende Thema von sexualisierter Gewalt gegen Frauen sprechen. 

Wie alltäglich dieses Problem leider ist, machen Paula Hartmann und Céline in ihren schonungslos ehrlichen Lyrics deutlich. Fordernd stellen die beiden Musikerinnen in „3 Sekunden“ deshalb auch immer wieder die Frage „Was weißt du davon?“, denn kein Mann kann wirklich nachvollziehen, wie sich solche Situationen im Körper einer Frau anfühlen. Mit dem gemeinsamen Song geben Paula und Céline Frauen, die sexualisierter Gewalt erlebt haben, eine starken Stimme, die auch wenn der Song bereits vorbei ist, noch lang nachhallt.

Philine Sonny – Drugs

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Nachdem es das Jahr über still um Philine Sonny war, kam sie im September mit der ersten Single zu ihrer neuen EP „Invader“ zurück. „Drugs“, ist wie wir es von Philine kennen, eine von Drums und Gitarren getragene Indie-Ballade. Im Vergleich zu den Songs auf ihrer letzten EP wirkt die Produktion hier sowohl musikalisch als auch visuell noch größer, noch wertiger und internationaler. Wie man vielleicht bei dem Titel vermuten würde, geht es nicht um ihr Rock-Star-Dasein à la Sex Drugs and Rock ’n‘ Roll. Eher im Gegenteil: „Drugs“ handelt von der Person, die Philine eigentlich gerne wäre, für die sie aber nicht mutig genug ist.

„Drugs“ ist eine Indie-Perle, die einigen dieses Jahr wahrscheinlich entgangen ist und demnach nicht auf vielen Jahres-Besten-Listen landen wird. Dabei haben wir national wohl kaum einen besseren Indie-Banger geliefert bekommen. Also packt euch „Drugs“ nochmal auf die Ohren, tanzt dazu durch euer Zuhause, spielt Luftgitarre und fühlt euch so frei, wie die Figur, die Philine in dem Song beschreibt.

Blumengarten – Du bist mutig

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Im Rückblick auf die letzten Monate lässt sich sagen: Ihr erstes vollständiges Jahr in der Musik-Branche haben Blumengarten mit Bravur gemeistert. Mit ihrem Hit „Paris Syndrom“ in der Tasche ist das Duo aus NRW in Rekordzeit vom szenigen Geheimtipp zum beliebten Featuregast für Größen wie Cro, Longus Mongus oder 01099 aufgestiegen. Zuletzt veröffentlichten Sänger Rayan und Produzent Sammy gemeinsam ihre EP „Schönheit die in Schmerzen liegt“. Aber wir wollen zum Jahresabschluss einen Blick zurück auf ihren ersten Release des Jahres werfen: die Mini-EP „Versprochen, alles wird gut!“, auf der man den Song „du bist mutig“ findet.

In einem Jahr voller Sternstunden für Blumengarten, hat uns kein Moment so erwischt wie dieser. Als die EP im Januar erschien, waren wir gerade noch dabei uns an das Phänomen Blumengarten zu gewönnen: Ein neues Duo, dass die Indie-Szene mit einer frischen Energie und Rawness bereichert, die man eigentlich nur von internationalen Stars wie Steve Lacy, Tyler, The Creator oder Rex Orange County kennt. Dabei zeigt „du bist mutig“ eindrucksvoll, wie eigenwillig der Pop-Entwurf von Blumengarten ist, und dass nicht jeder Hit erstmal glattgebügelt werden muss.

Vega – WSSNMB

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Mit „WSSNMB“ von Vega hat es auch ein Song aus der zweiten Jahreshälfte in diese Liste geschafft. Aus gutem Grund, denn kaum ein anderer Track hat in diesem Jahr so tief berührt wie dieser. „WSSNMB“ – die Abkürzung steht für „Wieso sie Stürme nach Menschen benennen“ – ist eine berührende Erzählung Vegas bisherigen Lebensweges, der von zahlreichen Tiefpunkten geprägt ist. Vega kehrt sein Innerstes nach außen, rappt über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen und zuletzt auch über mentale Gesundheit und Suizidgedanken. Dass ihm das Schreiben von „WSSNMB“ dabei bei weitem nicht leicht gefallen sein muss, macht er im Song auch deutlich: „Jede Zeile aus dieser Zeit ist wie ein kleiner Tod.“ Für uns ein starkes Statement, denn zu so viel Ehrlichkeit gehört eine Menge Mut. 

Tränen – Stures Dummes Herz

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Mit ihrer Debütsingle „Stures Dummes Herz“ hat das Duo Tränen Mitte des Jahres neuen Wind in die NNDW-Bubble gebracht. Bisschen punkiger, bisschen mehr am 80er-Neue-Deutsche-Welle-Sound dran und einfach voll eingängig. Auch wenn das Duo erst in diesem Jahr auftauchte, sind Tränen keine Unbekannten. Sowohl Sängerin Gwen Dolyn kennen wir bereits aus ihrem Solo-Projekt, für das sie seit 2020 mit den Toyboys zusammengearbeitet hat. Aber auch Gitarrist Steffen Israel ist als Mitglied der Band Kraftklub ein bekanntes Gesicht in der deutschen Musiklandschaft.

Was man „Stures Dummes Herz“ vielleicht auf Anhieb gar nicht anhört, ist der eigentlich traurige Subtext. Auch wenn man irgendwie mitsingen und tanzen möchte, handelt der Song eigentlich davon, den eigenen Selbstwert von der Liebe anderer abhängig zu machen. „Als ich gesagt hab einen Kick / Meint ich nicht in den Bauch / Aber wenn andere mich lieben / Ja, dann liebe ich mich auch.“ Aber genauso, wie es für die schönen und selbstermächtigenden Themen gute Songs gibt, braucht es eben auch welche, um die eigenen Unzulänglichkeiten rauszuschreien.

Brutalismus 3000 – Die Liebe kommt nicht aus Berlin

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2023 wurde viel geraved und gefeiert. In den Techno-Clubs, auf den Festivals und vor allem auf TikTok. Nach zwei Jahren Pandemie war klar, dass sich viel aufgestaut hat. Dieser Drang nach Exzess und Freiheit hat sich in den letzten Monaten in einer regelrechten Welle an elektronischer Musik entladen, die sogar die Deutschrap-Playlisten erreicht hat. Mitten im Epizentrum von diesem Rave-Revival standen Brutalismus 3000 mit ihrem Song „Die Liebe kommt nicht aus Berlin“. Kicks, die härter treten als ein Pferd, Synthies wie ein Schneesturm und shoutige Vocals auf Deutsch und Slowakisch – eine eigenwillige Mischung, mit der das Duo für jede Menge Gesprächsstoff gesorgt hat. Die einen priesen Victoria Vassiliki und Theo Zeitner und ihren Gabber-NDW-Punk als Rave-Propheten für die Gen Z, während sie für die anderen nur den nächsten, augenrollenden „So Berlin“-Moment darstellten. Egal zu welcher dieser Kategorien man nun gehört: „Die Liebe kommt nicht aus Berlin“ macht was mit einem und ist unmöglich zu ignorieren.

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